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Wolkentaenzerin

Wolkentaenzerin

Titel: Wolkentaenzerin
Autoren: Nichole Bernier
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sah zu ihr hinüber, ohne den Kopf anzuheben. Er sah nicht auf seine Uhr und schien auch nicht zu besorgt darüber, wann und ob überhaupt noch ein Zug fuhr, oder darüber, dass ihr Mann die Kinder zu Bett bringen und sich womöglich Gedanken machen würde.
    »Du könntest auch hier übernachten. Ich könnte dich morgen früh auf dem Weg zur Arbeit zum ersten Zug bringen.« Er sah sie mit müden Augen arglos an. Ihm war nicht klar, oder es war ihm gleichgültig, dass es kompliziert sein oder dabei etwas falsch ausgelegt werden könnte. Er war ein Mann, für den das Leben nicht mehr kompliziert war und dem es nichts ausmachte, wenn seine Worte falsch ausgelegt wurden. Falls ihm bewusst war, dass dadurch Probleme mit Chris entstehen könnten, beunruhigte ihn das nicht. Dave war nicht länger der Mann, den Elizabeth gekannt hatte, der unangenehme Situationen vermied oder der sich Sorgen machte über seine Handlungen und ihre Folgen, weil er bereits das Schlimmste durchgemacht und überlebt hatte. Nichts spielte mehr eine besondere Rolle. Alles war einfach so, wie es in dem Moment war, und damit in Ordnung.
    »Bleib doch einfach noch«, sagte er. »Trink noch ein Bier.«
    Ein Teil von ihr wollte das, was sie zu Hause erwartete, aufschieben. Sie würde mit Dave hier sitzen, während der Himmel immer dunkler wurde, sich von dunkellila zu tiefer Nacht verfärbte, und sie würden darüber reden, was es bedeutete, wenn jemand eine Krankheit verschwieg. Ob Elizabeth möglicherweise tatsächlich gedacht hatte, dass sie ihre Familie dadurch beschützte, und ob es mutig war, diese in dem Glauben zu lassen, ihr Alltag bliebe unberührt von all dem, was ihre Welt zerstören könnte, und nichts würde all das, was sie erschaffen hatten, berühren. Vielleicht hatte sie gedacht, dass sie es allein schaffen könnte, sich selbst still heilen, ohne jedes Mal die Sorge in ihren Gesichtern zu sehen, wenn sie von einer Behandlung nach Hause kam. Und vielleicht hatte sie ihnen auch nicht etwas vorgemacht, weil sie kein Vertrauen hatte, vielleicht wusste sie, dass Dave seiner Vorgeschichte, wie schlecht er mit Krankheiten umging, durch die Jahre gemeinsamer Ehe und das Sorgen füreinander entwachsen war. Dave und Kate würden den Grillen lauschen und wie alte Freunde über den Unterschied zwischen großmütig und egoistisch reden: ob die Tatsache, dass man für jemand anderen eine Entscheidung traf und ihm nicht die Gelegenheit gab, zu helfen und sich, wenn nötig, darauf vorzubereiten, sich zu verabschieden, das Großzügigste war, was jemand tun konnte, oder das genaue Gegenteil. Und wenn dann die Fledermäuse aus den Bäumen sausten, würde einer von ihnen auf die Uhr schauen und sagen: Wir sollten wohl Schluss machen für heute. Sie würden die Treppe hochgehen, Kate würde mit den Fingern das Geländer entlangfahren, an dem einmal eine Hecke gewachsen war, und sie würde ins Gästezimmer gehen, das neben Daves Schlafzimmer lag. Nachdem sie sich leise ausgezogen hätte, um nicht die Kinder aufzuwecken, würde sie sich ins Bett legen und durch die Wände die Bettfedern und Daves Atem hören, der wieder einmal eine einsame Nacht verbrachte. Und am nächsten Morgen, wenn das Kindermädchen kam und Kate vorfand, wie sie die Müslischalen wegräumte mit Haaren und Kleidung, die schon einen vollen Tag mitgemacht hatten, dachte sie sich vielleicht das Gleiche, was Kate über sie gedacht hatte, und sinnierte über das Ausmaß der Einsamkeit eines Mannes.
    »Ich glaube, ich erinnere mich noch an einen Regionalzug von Stamford nach New York und von da aus einen späten nach Washington«, sagte Kate. »Ich sehe mal nach. Chris macht sich sonst Sorgen.«
    Dave nickte, ohne zu lächeln. »Ich ruf dir ein Taxi«, sagte er und ging ins Haus. Wenn es ihm etwas ausmachte, so oder so, war es nur für einen Moment. Denn er war bereits im nächsten Moment, und der war ebenfalls in Ordnung, so wie er war.

Zweiunddreißig
    Der Bahnhof in Stamford war weder der beste noch der schlimmste Ort, an dem man sich nachts aufhalten konnte. Er war hell erleuchtet, doch ohne gefährlich zu wirken, was konstante polizeiliche Überwachung rechtfertigen würde. Betrunkene lungerten schwankend vor den Imbissständen herum. In einer Ecke befummelten sich ein junger Mann und eine junge Frau, oder vielleicht stritten sie sich; vielleicht war es ein bisschen von beidem.
    Kate kaufte eine Zeitung und stellte sich in die Nähe der Anzeigetafel. Sie hatte seit Monaten keine
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