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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind
Autoren: Hans Fallada
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hochzeitlich weißes Kleid an. Seine Hand zitterte nicht, als er die langen Strümpfe über das Bein streifte, seine Haut war glatt und frisch, seine Wade schwellte sich jung und fest. Als er fertig mit Anziehen war, ging er in das Zimmer ihrer gemeinsamen Träumereien hinüber, er war so froh, er setzte sich hin und sank in einen tiefen Schlaf. Wieder stand er an ihrem Sarg, nun in ihrem Kleid, und die halb schon Verwandelte, nun richtete sie sich zum Sitzen auf, ihre Wangen färbte ein leises glückliches Lebensrot, sie hob ihre Hand und legte sie auf die seine. Sie streichelte die Hand. Ein unnennbares Glück durchrieselte ihn.
    Er ist aufgewacht, noch klopft sein Herz eilig und noch streichelt ihn ihre Hand. Ja, auch im Wachen dauert das Streicheln fort, Wonneschauer überströmen ihn, er kann sich nicht halten, in das Dunkel fragt er: Bist du da, Hete? Die Ratte auf seiner Hand macht einen Satz und läuft fort. Er hört sie durch das Zimmer huschen. Es ist alles so einfach, es geschieht nichts klarer, es ist nur eine Ratte gewesen. Sie haben die Vorräte auf den Böden vertilgt, sie ziehen sich in die Stuben hinab, dorthin, wo er seine Eßvorräte aufbewahrt. |19| Nichts ist verständlicher. Aber ebenso sicher ist, daß diese Ratte ein Bote von ihr war, ihm zur Belohnung gesandt, daß er auf sich genommen zu tun, was er tat. Er hatte sie recht verstanden, als er die Ratten nicht getötet hatte.
    Und die Tage vergehen und die Wochen vergehen und die Monate vergehen. Er weiß nicht mehr, was das ist: Zeit. Die Verwandlung ist fortgeschritten, die Verwandlung ist fast vollendet. Er fühlt: unter seinem Bart trägt er schon ihr Gesicht, nur das eine fehlt, daß sein Bart noch von ihm abfällt. Aber sie ist ungeduldig geworden, sie kann es nicht mehr erwarten, daß sie aus diesem Sarge aufstehen darf, in dem sie schon viel zu lange gelegen. Es fehlt doch nur noch ein Kleines, kann er es denn nicht erraten? Da geht er umher, in ihrer Gestalt, in ihren Kleidern, und immer noch trägt er diesen lächerlichen Bart? Will er etwa nicht verstehen? Ja, da muß sie ihm zeigen, was er zu tun hat.
    Sie sitzt in ihrem Sarg, auf ihrer Hand hockt eine Ratte und nun beißt die Ratte zu. Sie reißt einen Fetzen Fleisch von ihrem Finger und läuft davon. Hat er nun verstanden? Ja, er hat verstanden, aber noch einmal bäumt sich seine Seele auf: das ist zu schwer! Wohl hat er sich schon ganz an die Ratten gewöhnt, bei Tag und bei Nacht laufen sie über ihn hin, sie haben keine Scheu mehr vor dem Einsamen, sie streicheln alle seine Glieder. Er weiß ja, es sind ihre Boten, es sind ihre Hände, die ihn streicheln. Aber dies noch! Nein, dies kann er nicht. Er will es nicht!
    Aber da kommt sie nicht mehr, sie bleibt einfach fort, sie läßt den schon fast Verwandelten im Stich, ja, ist es nicht so, als ob sie die Verwandlung wieder rückgängig zu machen beginnt?
    Er muß sich entschließen und er weiß ja, daß sein Entschluß vom ersten Tage an, da er mit ihr zusammenlebte, gefaßt war. Er vernichtet den Rest der Eßwaren, er legt sich auf sein Lager, er ist bereit, er wartet. Es dauert viele und viele Stunden, ehe die Ratten sich entschließen, ihm näher zu kommen, sich ernsthaft an ihn zu machen. Er hört, wie sie |20| im Haus umherstromen, sie finden wohl noch hie und da ein Stückchen Leder, irgendeinen Abfall. Aber das kann bei so vielen unmöglich lange vorhalten. Dann kommen sie näher und sitzen auf ihm und huschen über ihn. Es ist unendlich schwer, jene Unbeweglichkeit anzunehmen, die sie verführt. Immer wieder verfällt sein Körper in Zittern. Aber schließlich gelingt es.
    Und dann brüllt er los, er springt auf, er schlägt um sich: die erste hat ihn gebissen. Ein scharfer Biß, mitleidslos. Er stürzt aus dem Haus, er läuft zum Kirchdorf. Er hält inne, er kehrt um. Der Weiberrock schlug ihm um die Beine, seine tote Tochter erinnerte ihn. Und auf dem Heimweg ist sein Gehirn schon damit beschäftigt, Mittel zu ersinnen, durch die er die Feigheit seines Körpers bändigen kann. Er ersinnt eine Fesselung, die er sich allein anlegen kann, die mit einem Ruck zuzuziehen, aber dann nicht wieder zu öffnen ist.
    Es gelingt. Er liegt bewegungslos auf seinem Lager. Er flüstert: Bist du nun gut, Hete?
    Aber Hete kommt nicht mehr. Die erste Ratte beißt ihn, und er brüllt wieder. Aber diesmal fliehen sie nur für einen Augenblick, sie begreifen rasch die Hilflosigkeit ihres Opfers, in Scharen sitzen sie auf ihm und benagen ihn.
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