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Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)

Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)

Titel: Wir fangen gerade erst an: Roman (German Edition)
Autoren: Catharina Ingelman-Sundberg
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Lebens sollte auch noch Leben in der Bude sein. Der Herr vor ihr brauchte wirklich enorm viel Zeit, doch dann piepte es endlich, und ihre Nummer leuchtete auf. Langsam, aber würdevoll, schritt sie vor zum Kassenschalter. In diesem Moment war es vorbei mit dem Leben voller Anstand und Respekt, das vernichtete sie jetzt auf einen Schlag. Doch was tat man nicht alles in einer Gesellschaft, die aus Gaunern bestand und die ihre Alten schlecht behandelte? Man ließ es sich gefallen und ging unter, oder man passte sich den Gegebenheiten an. Sie gehörte zu Letzteren.
    Auf dem Weg zum Schalter schaute sie sich sorgfältig um, bevor sie vor der Kasse haltmachte, den Stock auf den Tresen legte und der Kassiererin freundlich zunickte. Dann schob sie ihr den Zeitungsausschnitt hinüber.
    »Dies ist ein Banküberfall!«
    Die Dame an der Kasse las und antwortete mit einem Lächeln.
    »Womit kann ich dienen?«
    »Drei Millionen, und zwar schnell!«, sagte Märtha.
    Das Lächeln der Kassiererin wurde breiter. »Möchten Sie Geld abheben?«
    »Nein, SIE sollen Geld für mich abheben, AUF DER STELLE!«
    »Verstehe. Aber Ihre Rente ist noch nicht da. Die wird erst in der Monatsmitte ausgezahlt, das wissen Sie doch.«
    Märtha verlor den Faden. Das hier lief völlig anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Jetzt war sofortiges Handeln gefragt. Sie griff nach ihrem Stock und stieß ihn durch die Schalteröffnung. Dann fuchtelte sie damit herum, so gut es ging.
    »Beeilen Sie sich! Her mit meinen drei Millionen!«
    »Aber Ihre Rente …«
    »Tun Sie, was ich sage. Drei Millionen. Legen Sie das Geld in den Korb.«
    Da wusste sich die junge Bankangestellte nicht anders zu helfen, sie stand auf und holte zwei männliche Kollegen. Die waren beide sehr adrett und lächelten freundlich. Der eine, der ihr zugewandt stand, sah aus wie Gregory Peck – oder war es Cary Grant? – und erklärte:
    »Wir kümmern uns um Ihre Rente, seien Sie unbesorgt. Und mein Kollege hier ruft Ihnen gern ein Taxi, das Sie nach Hause bringt.«
    Märtha warf einen Blick durch die Glasscheibe. Weiter hinten sah sie die junge Kassiererin, die das Telefon in der Hand hielt.
    »Dann muss ich meinen Banküberfall wohl verschieben«, antwortete Märtha und griff schnell nach ihrem Stock und dem Zeitungsausschnitt. Alle lächelten verständnisvoll, und dann brachten sie die alte Dame zur Tür. Sie begleiteten sie noch bis zum Taxi und klappten ihr den Rollator zusammen.
    »Altersheim Diamant«, sagte Märtha dem Fahrer und winkte den Bankangestellten zum Abschied. Vorsichtig stopfte sie den Zeitungsausschnitt wieder in die Manteltasche zurück. Die Sache war wie am Schnürchen gelaufen. Eine alte Dame mit Rollator konnte sich also wesentlich mehr erlauben als andere Leute. Sie fuhr mit der Hand in die Manteltasche, um sich mit einem Dschungelschrei-Bonbon zu belohnen, und summte fröhlich vor sich hin. Damit ihr Plan funktionierte, brauchte sie nun nur die Unterstützung ihrer Freunde aus dem Chor. Seit über zehn Jahren sangen sie miteinander und hielten eng zusammen. Natürlich konnte sie die anderen nicht einfach geradewegs fragen, ob sie Lust hätten, kriminell zu werden, sie musste sich schon etwas ausdenken. Aber später, und dessen war sie sich sicher, würden sie ihr dankbar sein, dass ihr Leben so eine positive Wendung genommen hatte!
     
    Märtha erwachte von einem weit entfernten, summenden Geräusch, dem ein scharfer Piepton folgte. Sie schlug die Augen auf und versuchte herauszufinden, wo sie sich befand. Ja natürlich, im Altersheim. Und was sie gerade hörte, war wohl wieder Kratze, der eigentlich Bertil Engström hieß und immer in der Nacht aufstand, weil er Hunger hatte. Dann stellte er Essen in die Mikrowelle und vergaß es dort. Sie stand auf und ging mit Hilfe ihres Rollators in die Küche. Murrend nahm sie eine Fertigpackung Nudeln mit Tomatensoße und Fleischbällchen heraus und sah verträumt hinüber zu den Häusern auf der anderen Straßenseite. Dort hatten sie sicher noch ihre Küchen, dachte sie. Früher hatten sie auch eigene Küchen gehabt, aber um Personal einzusparen, waren die von der neuen Leitung gestrichen worden. Bevor die Diamant-GmbH das Haus übernommen hatte, waren die Mahlzeiten die Höhepunkte des Tages gewesen, und im Gemeinschaftsraum hatte es herrlich geduftet. Und jetzt? Märtha gähnte und lehnte sich an die Spüle. Fast alles war schlechter geworden, und mittlerweile war es so ein Jammer, dass sie oft nur noch
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