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Will Trent 01 - Verstummt

Will Trent 01 - Verstummt

Titel: Will Trent 01 - Verstummt
Autoren: Karin Slaughter
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Schwangerschaft hatte Tim an Sauerstoffmangel gelitten. Er würde sich nie über das Niveau eines Sechsjährigen hinausentwickeln. Sie wussten nicht, wie oder warum, aber so war es eben.
    Michael hatte Barbara nie gemocht, aber Tims Diagnose brachte ihn dazu, sie zu hassen. Es war ein Klischee, dass man seine Schwiegermutter nicht ausstehen konnte, aber sie hatte immer gedacht, ihre Tochter hätte etwas Besseres verdient, und betrachtete jetzt Tims Problem als Michaels Versagen. Außerdem war sie eine religiöse Spinnerin, die sehr schnell den Splitter im Auge des anderen sah, den Balken im eigenen jedoch kaum. Sie war nicht nur der Typ, der ein Glas immer als halb leer betrachtete - sie dachte, das Glas sei halb leer, und wir alle müssten dafür büßen.
    »Tim?«, rief Michael und streifte ein T-Shirt über, während er durchs Haus ging. »Wo bist du, Kumpel?«
    Er hörte Kichern hinter der Couch, ging aber weiter zur Küche.
    »Wo ist Tim denn hin?«, fragte er, als er sah, dass sein Sohn einen vollen Karton Cheerios auf dem Küchentisch verstreut hatte. Tims blaue Schale war bis zum Rand voll mit Milch, und eine Sekunde lang sah er Aleesha Monroes roten Mund, angefüllt mit ihrem eigenen Blut.
    »Buh!«, kreischte Tim und umklammerte Michael an der Taille.
    Michael erschrak, obwohl Tim es praktisch jeden Morgen so machte. Das Herz hämmerte in seiner Brust, als er seinen Sohn in die Arme nahm und hochhob. Der Junge war jetzt acht und viel zu schwer, um noch getragen zu werden, aber Michael konnte nicht anders. Er strich die abstehende Strähne auf Tims Kopf glatt. »Gut geschlafen, Kleiner?«
    Tim nickte, wand sich in Michaels Armen und drückte gegen seine Schulter, damit er ihn wieder herunterließ.
    »Dann wollen wir die Schweinerei mal aufräumen, bevor Ba-Ba kommt«, sagte er, schob ein paar Frühstücksflocken mit der Hand zusammen und schüttete sie wieder in den Karton. Unter der Woche kam Barbara vorbei, um auf Tim aufzupassen. Sie brachte ihn zur Schule, holte ihn wieder ab, kümmerte sich um sein Mittagessen und überwachte die Hausaufgaben. An
    den meisten Tagen verbrachte sie mehr Zeit mit ihm als Michael oder Gina, aber sie beide hatten keine andere Wahl.
    »Ba-Ba wird diese Schweinerei bestimmt nicht gefallen«, sagte Michael.
    »Nee«, stimmte Tim ihm zu. Er saß mit untergeschlagenen Beinen am Tisch. Der Schlitz in seiner Spiderman-Pyjamahose stand offen.
    »Pack deine Ausrüstung ein, Kumpel«, ermahnte ihn Michael und kämpfte gegen die Traurigkeit an, die ihn überkam, als Tim an den Knöpfen herumfummelte.
    Michael war ein Einzelkind gewesen, wahrscheinlich ein bisschen mehr als verzogen. Als Tim geboren wurde, hatte er von Babypflege keine Ahnung. Tim die Windeln zu wechseln war ihm unangenehm gewesen, und er versuchte, es so schnell wie möglich und mit minimalem Körperkontakt hinter sich zu bringen. Jetzt konnte Michael an nichts anderes denken als daran, dass Tim in wenigen Jahren in die Pubertät käme. Sein Körper würde wachsen und ihn zu einem Mann machen, aber sein Verstand würde nie mithalten können. Er würde nie wissen, wie es ist, eine Frau zu lieben, das, was Gott ihm gegeben hatte, zu benutzen, um einem anderen menschlichen Wesen Freude zu bereiten. Er würde nie eigene Kinder haben, nie erfahren, was für eine Freude und was für ein Herzschmerz es ist, Vater zu sein.
    »Wer hat denn diese Schweinerei da angerichtet?«, fragte Gina. Sie trug den seidenen blauen Morgenmantel, den Michael ihr vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte; die Haare waren in ein Handtuch gewickelt. »Hast du das verbrochen?«, neckte sie Tim, nahm sein Kinn in die Hand und küsste ihn auf den Mund. »Ba-Ba wird das aber nicht gefallen«, sagte sie. Insgeheim freute es Michael, dass der Junge es nicht schaffte, sie Oma Barbara zu nennen, wie sie es wollte.
    Tim wollte nun beim Aufräumen mithelfen, machte aber die Unordnung nur noch schlimmer. »Oh-oh«, sagte er, als er auf die Knie ging, jedes Cheerio einzeln aufhob und laut abzählte, während er sie seiner Mutter gab.
    Gina fragte: »Kommst du heute Abend zu einer vernünftigen Zeit nach Hause?«
    »Ich habe dir doch gesagt, dass ich an einem Fall arbeite.«
    »In einer Bar?«, fragte sie. Er drehte ihr den Rücken zu und holte zwei Tassen aus dem Schrank. In der Nacht zuvor war er viel zu aufgedreht gewesen, um direkt nach Hause zu fahren. Leo hatte vorgeschlagen, noch auf einen Drink zu gehen und über den Fall zu reden, und
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