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Wilhelm II.

Wilhelm II.

Titel: Wilhelm II.
Autoren: C.H.Beck
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definiert und zu diesem Zweck die dauerhafte Schwächung Frankreichs, die Zerstückelung Belgiens, die Eingliederung Luxemburgs und die Abdrängung Rußlands von der deutschen Grenze durch die Errichtung von deutschen Satellitenstaaten gefordert. Ganz Mitteleuropa sollte wirtschaftlich unter deutsche Kontrolle kommen und durch ein riesiges Mittelafrika ergänzt werden. Mit diesen atemberaubenden Zielen seines Kanzlers stimmte Wilhelm II. überein. Er werde der englischen balance of power-Politik ein Ende bereiten und eine unschlagbare mitteleuropäische Gemeinschaft gründen, sagte er dem österreichischen Außenminister 1915. Noch 1918 erklärte er, als sich Graf Andrássy als Friedensvermittler auf der Basis des europäischen Gleichgewichts anbot: «Danke sehr! brauche keinen! Geht von allein! mit dem Schwert! Davor bewahre uns der Himmel!» und empfahl Andrássy, der offenbar einen Dachschaden habe, einen Sanatoriumsaufenthalt.
    Ein besonderer Wunsch Wilhelms II., den er gleich zu Beginn des Krieges geltend machte, war es, eine Art ethnische Säuberung an der flandrischen Küste Belgiens und Frankreichs vorzunehmen, um dort verdiente deutsche Soldaten als Bauern anzusiedeln. Flanderns Küste mit den Häfen Antwerpen, Zeebrügge, Ostende, Dünkirchen, Calais und Boulogne bezeichnete er als «das Kampfziel meiner Marine». Auch Lüttich und Umgebung, wenn nicht gar das ganze Belgien, sollten wie Luxemburg an Deutschland kommen.
    Ebenso ausschlaggebend war die Rolle, die der Kaiser bei der Errichtung eines polnischen Satellitenstaates auf Kosten Rußlands spielte. Unmittelbar nach der Mobilmachung im Juli 1914 erklärte er es als sein Ziel, einen «unabhängigen» polnischen Staat zu gründen. Seinen Vorstellungen nach sollte das neue Polen freilich von der Ostsee abgeschnitten und außenpolitisch, militärisch und wirtschaftlich von Deutschland gelenkt werden – er persönlich würde den Oberbefehl über die polnischen Streitkräfte innehaben, und die polnischen Eisenbahnen würdenin die preußischen integriert sein. Das polnische Königreich, das am 5. November 1916 ausgerufen wurde, war nicht zuletzt das Geisteskind Kaiser Wilhelms.
    Nach dem Sturz des Zaren im Februar 1917 listete Kaiser Wilhelm seine atemberaubenden Vorstellungen von der neuen Weltordnung auf und verdeutlichte damit, worum es ihm im Ersten Weltkrieg eigentlich ging. In einer Denkschrift vom 19. April 1917 verlangte er die Einnahme von Malta, der Azoren, Madeiras und der Kapverdischen Inseln als Stützpunkte für seine Flotte, die Annexion Belgisch-Kongos und des französischen Erzbeckens Longwy-Briey sowie den Anschluß Polens, Litauens und Kurlands an das Reich. Darüber hinaus sollten die Ukraine, Livonien und Estland deutsche Satellitenstaaten werden. Hinzu kamen milliardenhohe Reparationsforderungen an Großbritannien, die USA, Frankreich und Italien. Mit solchen Forderungen stand der Kaiser nicht allein; sie wurden wenige Tage darauf auf der Kriegszielkonferenz in Bad Kreuznach als Deutschlands Richtlinien festgelegt. In einer weiteren Denkschrift vom 13. Mai 1917 setzte Wilhelm II. seine «Mindestforderungen» für die Friedensverhandlungen mit Rußland auf. Auch hier verlangte er die Annexion von Longwy-Briey, die Einnahme von Malta, der Azoren, Madeiras und der Kapverdischen Inseln sowie die Rückgabe der deutschen Kolonien in Afrika zusammen mit dem ganzen Kongo. Belgien wollte er in Wallonien und Flamland aufteilen und unter deutsche Herrschaft stellen. Im Osten sollten Polen, Kurland und Litauen direkt oder indirekt annektiert werden, die Ukraine «autonom» werden. Zu den massiven Kriegsentschädigungen, die er England, Amerika, Frankreich und Italien auferlegen wollte, kamen jetzt Reparationsforderungen in Milliardenhöhe an China, Japan, Brasilien, Bolivien, Kuba und Portugal hinzu. Zypern, Ägypten und Mesopotamien (Irak) sollten an die Türkei und Gibraltar an Spanien rückübergeben werden.
    Von der Erforderlichkeit der Revolutionierung des russischen Zarenreiches hatte der Kaiser schon vor dem Krieg gesprochen. Als er von der Überführung Lenins von Zürich nach Petrograd erfuhr, witzelte er, man solle den Bolschewisten doch eine Ausgabeseiner Reden mit auf den Weg geben. Im Januar 1918, als die Verhandlungen mit Trotzki in Brest-Litowsk aufgenommen wurden, faßte er seine schwindelerregenden Ambitionen in Ost und West in der Marginalie zusammen: «Der Sieg der Deutschen über Rußland war Vorbedingung für die
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