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Wie Die Iren Die Zivilisation Retteten

Wie Die Iren Die Zivilisation Retteten

Titel: Wie Die Iren Die Zivilisation Retteten
Autoren: Thomas Cahill
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dies war nur der Anfang des Schreckens. Was die curiales
    nicht eingenommen hatten, mußten sie aus eigener Tasche bezahlen!
    Wer waren diese bedauernswerten Kreaturen, und wie ist das Ver-
    hängnis über sie gekommen? Da die Steuereintreibung unter der
    Würde von Großgrundbesitzern wie Ausonius war, fiel diese Aufgabe der nächst geringeren Schicht zu, den kleinen Grundbesitzern, die gerade so viel Land zusammengerafft hatten, daß sie sich in der
    gesellschaftlichen Hierarchie behaupten konnten. Das Amt des curialis, das zunächst als erste Stufe auf der Leiter zum sozialen Aufstieg gedacht war, stellte sich in der Zeit von Ausonius als brutale Falle heraus, aus der es kaum ein Entrinnen gab.
    Natürlich versuchten sie zu entkommen, besonders während der
    Zeit, als die Besteuerungsgrundlage schrumpfte und der Wert des
    Goldes – viele Steuern mußten in Goldmünzen bezahlt werden – im
    Verhältnis zum Silber um etwa ein Prozent jährlich anstieg. Eine
    Zeitlang schafften es die reichsten curiales, durch Bestechung auf die Listen der Senatoren zu gesetzt werden, denn der Senat war die
    Crème der römischen Gesellschaft und das alte, wenn auch wirkungslose Symbol ihres ehemals republikanischen Glanzes – und Senatoren brauchten keine Steuern zu zahlen. Andere wechselten mittels Bestechung von ihrem Rang als curialis in einen anderen Rang der büro-
    kratischen Honigwabe, zum Beispiel in den riesigen Apparat von
    Palastdienern. Wieder andere erhielten Militärämter oder suchten
    Zuflucht in der Priesterweihe. Auf dem untersten Niveau tauschten die curiales ihre Geburtsrechte dagegen ein, sich einer Gruppe von Arbeitern anzuschließen, zum Beispiel bei Kornimporteuren oder in der Schiffahrt. Die ganz Verzweifelten – und am Ende des Jahrhunderts wurden es immer mehr – liehen sich etwas bei der einzigen in 28
    Frage kommenden Person, dem örtlichen Gutsherrn, der, wie wir aus dem Fall Ausonius ersehen können, dank seiner klassenbedingten
    Beziehungen praktisch von der Steuer befreit war. Der Gutsherr half nur zu gern: Nicht nur war er dadurch noch weniger von der Steuer bedroht (denn der Schuldner war sowohl der für ihn zuständige
    Steuerbeamte als auch sein Steuereinnehmer), sondern am Ende,
    wenn der curialis seine Schuld nicht beglichen hatte, würde auch noch dessen nettes kleines Haus in seinen, des Gutsherrn, riesigen Besitz übergehen. Auf diese Weise wurde der Steuereintreiber schließlich zu einem ausgebildeten, aber besitzlosen Arbeiter, normalerweise in den Diensten seines Gutsherrn. Manche dieser bedauernswerten Männer
    sanken so tief, daß sie mitsamt ihrer Familie auf ihrem ehemals eigenen Land zu Leibeigenen wurden.
    Doch der Kaiser hatte nicht vor, tatenlos zuzusehen, wie seine Steuereintreiber einer nach dem anderen verschwanden. Also beraubte er sie aller Fluchtmöglichkeiten, indem er ein Gesetz erließ, dem zufolge curiales ihren Besitz ohne Erlaubnis weder verschenken noch verkaufen durften. Diejenigen, die im Palast und in der Armee dienten,
    wurden zurückgerufen. Sie konnten immer noch Senatoren werden
    vorausgesetzt, sie hatten alle Dienstgrade eines curialis durchlaufen und im höchsten, dem des principalis, fünfzehn Jahre ausgeharrt. Wer einen Grad übersprang, mußte – wie eine Spielfigur – wieder von
    vorn anfangen.
    Bis zum fünften Jahrhundert, den Jahren vor dem totalen Zusam-
    menbruch der römischen Regierung, hatte die kaiserliche Steuerpolitik eine der hoffnungslosesten Kasten aller Zeiten hervorgebracht. Das räuberische Verhalten der Einnehmer, die kassierten, wo immer und wann immer sie konnten, war die direkte Folge ihrer Verzweiflung
    angesichts der eigenen ständig steigenden und unbezahlbaren Steuer-rechnungen. Und während sich diese Nervenbündel auf jeden stürz-
    ten, der schwächer war als sie, wurden die Reichen immer reicher. Die Großgrundbesitzer schluckten die Kleinen, die Masse dessen, was
    besteuert werden konnte, schrumpfte weiter, und die Mittelschicht, die vom römischen Staat nie gefördert worden war, verschwand vom

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    Erdboden. Sie kehrte erst im hohen Mittelalter mit den italienischen Handelsfamilien zurück.
    In der Flucht der curiales erkennen wir genaugenommen die ersten
    Vorboten der mittelalterlichen Ordnung. Indem sie in immer größerer Zahl zu Pächtern auf den Besitzungen der Gutsherren wurden, er-schufen sie das Lehen des mittelalterlichen Europa mit seiner adligen Familie, ausgebildeten Handwerkern (oder Freien) und an das
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