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West-östlicher Divan (German Edition)

West-östlicher Divan (German Edition)

Titel: West-östlicher Divan (German Edition)
Autoren: Johann Wolfgang von Goethe
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sich's nicht versehn,
Das Flügel-Pferd, es mußte stehn.
    Da hatten wir ihn in der Mitte!—
Freundlich ernst, nach Propheten-Sitte,
Wurden wir kürzlich von ihm beschieden;
Wir aber waren sehr unzufrieden.
Denn seine Zwecke zu erreichen,
Sollten wir eben alles lenken;
So wie ihr dächtet, sollten wir denken,
Wir sollten euren Liebchen gleichen.
    Unsre Eigenliebe ging verloren,
Die Mädchen krauten hinter den Ohren.
Doch, dachten wir, im ewigen Leben
Muß man sich eben in alles ergeben.
    Nun sieht ein jeder, was er sah,
Und ihm geschieht, was ihm geschah.
Wir sind die Blonden, wir sind die Braunen,
Wir haben Grillen und haben Launen,
    Ja, wohl auch manchmal eine Flause,
Ein jeder denkt, er sei zu Hause.
Und wir darüber sind frisch und froh,
Daß sie meinen, es wäre so.
    Du aber bist von freiem Humor,
Ich komme dir paradiesisch vor;
Du gibst dem Blick, dem Kuß die Ehre,
Und wenn ich auch nicht Suleika wäre.
Doch da sie gar zu lieblich war,
So glich sie mir wohl auf ein Haar.
    Dichter
    Du blendest mich mit Himmelsklarheit;
Es sei nun Täuschung oder Wahrheit,
Genug, ich bewundre dich vor allen.
Um ihre Pflicht nicht zu versäumen,
Um einem Deutschen zu gefallen,
Spricht eine Huri in Knittelreimen.
    Huri
    Ja, reim auch du nur unverdrossen,
Wie es dir aus der Seele steigt!
Wir paradiesische Genossen
Sind Wort und Taten reinen Sinns geneigt.
Die Tiere, weißt du, sind nicht ausgeschlossen,
Die sich gehorsam, die sich treu erzeugt!
Ein derbes Wort kann Huri nicht verdrießen;
Wir fühlen, was vom Herzen spricht,
Und was aus frischer Quelle bricht,
Das darf im Paradiese fließen.
    Huri
    Wieder einen Finger schlägst du mir ein!
Weißt du denn, wie viel äonen
Wir vertraut schon zusammen wohnen?
    Dichter
    Nein!—Will's auch nicht wissen. Nein!
Mannigfaltiger frischer Genuß,
Ewig bräutlich keuscher Kuß!—
Wenn jeder Augenblick mich durchschauert,
Was soll ich fragen, wie lang es gedauert!
    Huri
    Abwesend bist denn doch auch einmal;
Ich merk es wohl, ohne Maß und Zahl.
Hast in dem Weltall nicht verzagt,
An Gottes Tiefen dich gewagt.
Nun sei der Liebsten auch gewärtig!
Hast du nicht schon das Liedchen fertig?
Wie klang es draußen an dem Tor?
Wie klingt's?—Ich will nicht stärker in dich dringen,
Sing mir die Lieder an Suleika vor:
Denn weiter wirst du's doch im Paradies nicht bringen.
    Begünstigte Tiere
    Vier Tieren auch verheißen war,
Ins Paradies zu kommen.
Dort leben sie das ew'ge Jahr
Mit Heiligen und Frommen.
    Den Vortritt hier ein Esel hat;
Er kommt mit muntern Schritten:
Denn Jesus zur Prophetenstadt
Auf ihm ist eingeritten.
    Halb schüchtern kommt ein Wolf sodann,
Dem Mahomet befohlen:
"Laß dieses Schaf dem armen Mann!
Dem Reichen magst du's holen."
    Nun immer wedelnd, munter, brav,
Mit seinem Herrn, dem braven,
Das Hündlein, das den Siebenschlaf
So treulich mit geschlafen.
    Abuherriras Katze hier
Knurrt um den Herrn und schmeichelt.
Denn immer ist's ein heilig Tier,
Das der Prophet gestreichelt.
    Höheres und Höchstes
    Daß wir solche Dinge lehren,
Möge man uns nicht bestrafen:
Wie das alles zu erklären,
Dürft ihr euer Tiefstes fragen.
    Und so werdet ihr vernehmen,
Daß der Mensch mit sich zufrieden,
Gern sein Ich gerettet sähe,
So dadroben wie hienieden.
    Und mein liebes Ich bedürfte
Mancherlei Bequemlichkeiten;
Freuden, wie ich hier sie schlürfte,
Wünscht ich auch für ewge Zeiten.
    So gefallen seine Gärten,
Blum und Frucht und hübsche Kinder,
Die uns allen hier gefielen,
Auch verjüngtem Geist nicht minder.
    Und so möcht ich alle Freunde,
Jung und alt, in eins versammeln,
Gar zu gern in deutscher Sprache
Paradieses Worte stammeln.
    Doch man horcht nun Dialekten,
Wie sich Mensch und Engel kosen,
Der Grammatik, der versteckten,
Deklinierend Mohn und Rosen.
    Mag man ferner auch in Blicken
Sich rhetorisch gern ergehen
Und zu himmlischem Entzücken
Ohne Klang und Ton erhöhen.
    Ton und Klang jedoch entbindet
Sich dem Worte selbstverständlich,
Und entschiedener empfindet
Der Verklärte sich unendlich.
    Ist somit dem Fünf der Sinne
Vorgesehn im Paradiese,
Sicher ist es, ich gewinne
Einen Sinn für alle diese.
    Und nun dring ich aller Orten
Leichter durch die ewgen Kreise,
Die durchdrungen sind vom Worte
Gottes rein-lebendger Weise.
    Ungehemmt mit heißem Triebe
Läßt sich da kein Ende finden,
Bis im Anschaun ewger Liebe
Wir verschweben, wir verschwinden.
    Siebenschläfer
    Sechs Begünstigte des Hofes
Fliehen vor des Kaisers Grimme,
Der als Gott sich läßt verehren,
Doch als Gott sich nicht
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