Wenn wir uns wiedersehen: Thriller (German Edition)
gewitzelt, ihr Haar sei so goldblond, daß die meisten Frauen in der Stadt überzeugt seien, sie helfe ein wenig mit Chemie nach.
Die darauffolgende Stunde verbrachte sie damit, den Inhalt ihres begehbaren Kleiderschranks gründlich in Augenschein zu nehmen und die Sachen auszusortieren, von denen sie wußte, daß sie sie nie wieder tragen würde. Beim Anblick mancher Kleidungsstücke mußte sie schmunzeln. Da war zum Beispiel das goldfarbene Kleid mit passender Jacke, das sie in ihrem letzten Jahr in Freiheit zu einem Silvesterball im Country Club angezogen hatte. Und auch das schwarze Samtkostüm. Gary hatte es bei Bergdorf im
Schaufenster gesehen und darauf bestanden, daß sie es anprobierte.
Als Molly von ihrer Entlassung erfuhr, hatte sie Mrs. Barry eine Einkaufsliste geschickt. Um acht ging sie wieder nach unten, um das Abendessen vorzubereiten, von dem sie nun schon seit einer Woche träumte: grüner Salat mit Balsamicovinaigrette, im Ofen aufgebackenes knuspriges italienisches Brot, Linguine mit selbstgemachter Tomatensauce und dazu ein Glas Chianti Riserva.
Als alles fertig war, setzte sie sich in die gemütliche Frühstücksecke, von der aus man auf den Garten blicken konnte. Sie aß langsam und ließ sich die würzige Nudelsauce, das Brot und die Salatsoße auf der Zunge zergehen. Sie nippte genüßlich an dem vollmundigen Wein, betrachtete den dunklen Garten und freute sich auf den Frühling, der in wenigen Wochen beginnen würde.
Die Blumen sind in diesem Jahr spät dran, dachte sie, aber bald wird alles wieder in voller Blüte stehen. Sie hatte sich fest vorgenommen, den Garten auf Vordermann zu bringen, die warme, feuchte Erde unter den Händen zu spüren und zuzusehen, wie die Tulpen in allen Farbtönen aufblühten. Außerdem wollte sie die Rabatten entlang des Plattenweges bepflanzen.
Die Stille im Haus empfand sie nach dem ständigen, ohrenbetäubenden Lärm im Gefängnis als wahre Erholung. Nachdem sie die Küche aufgeräumt hatte, setzte sie sich ins dunkle Arbeitszimmer, schlang die Arme um die Knie und lauschte. Sie wartete auf das Geräusch, das sie in Garys Todesnacht darauf gebracht hatte, daß sich noch jemand im Haus befand. Es war ein eigentlich vertrautes Geräusch, das dennoch nicht hierher gehörte und das sie seit fast sechs langen Jahren bis in ihre wirren Alpträume verfolgte. Doch sie hörte nur den Wind und, ganz nah, das Ticken einer Uhr.
8
F ran verließ das Studio und ging zu Fuß zu ihrer Vier-Zimmer-Wohnung, die sie an der Ecke Second Avenue und 56. Straße gemietet hatte. Es war ihr schwergefallen, ihre Eigentumswohnung in Los Angeles zu verkaufen. Doch seit ihrem Umzug nach New York war ihr klar, daß Gus recht gehabt hatte. Hier war sie zu Hause.
Schließlich habe ich bis zu meinem vierzehnten Lebensjahr in Manhattan gewohnt, sagte sie sich, als sie die Madison Avenue entlangschlenderte und am Le Cirque 2000 vorbeikam. Sie warf einen bewundernden Blick in den hell erleuchteten Hof vor dem Eingang. Aber dann hat Dad an der Börse groß abgesahnt und beschlossen, sich aufs Land zurückzuziehen.
Sie waren nach Greenwich übergesiedelt und hatten ein Haus ganz in der Nähe von Mollys jetziger Adresse gekauft. Das Anwesen lag in dem Nobelviertel Lake Avenue, und bald stellte sich heraus, daß sie es sich nicht leisten konnten. Dem Haus folgten ein ebenfalls zu teures Auto und Kleider, für die genauso das Geld fehlte. Vielleicht hat Dad deshalb nichts mehr an der Börse verdient, weil er sich selbst zu sehr unter Druck gesetzt hat, dachte Fran.
Er war ein geselliger Mensch gewesen, der gerne neue Bekanntschaften schloß. Und da er glaubte, daß man sich durch ehrenamtliches Engagement Freunde schuf, war er bei sämtlichen Vereinen sehr beliebt gewesen – wenigstens bis er sich die Spendengelder aus dem Bibliotheksfonds ›auslieh‹.
Fran graute davor, ihre Umzugskartons auszupacken. Doch der Schneeregen hatte aufgehört, und durch die Kälte wurde sie wieder ein wenig wacher. Als sie den Schlüssel ins Schloß der Wohnung 21E steckte, war sie bereit, endlich zur Tat zu schreiten.
Wenigstens im Wohnzimmer ist es einigermaßen ordentlich, sagte sie sich. Sie machte Licht und betrachtete den einladenden Raum mit dem moosgrünen Samtsofa, den Sesseln und dem rot-, elfenbeinfarben- und grüngemusterten Perserteppich.
Sie beschloß, zuerst die immer noch nahezu leeren Bücherregale einzuräumen. Nachdem sie einen alten Pullover und Hosen angezogen hatte, machte sie
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