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Wenn Du Luegst

Titel: Wenn Du Luegst
Autoren: Anna Salter
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Sogar das Krächzen der Möwen wölbte sich nicht wie sonst über den Himmel.
    Das Motel, wo mein Auto untergestellt war, befand sich nur einen Steinwurf vom Dock entfernt. Außer einem Motorroller und meinem alten, roten Jeep brauchte ich nichts auf Blackbeard’s Isle. Der Morgen war frisch und klar, der Himmel ein strahlend heller Sonnenschirm, der sich über einen lichten Wald voller melodisch zwitschernder Vögel spannte. Aus Richtung der kleinen Häuser, die die Anlegestelle säumten, wehte der Duft von Magnolien heran. Ich begrüßte Josie, mein Auto, wie die alte Freundin, die sie war, dann machte ich mich auf den Weg zu Betsys Haus.
    Betsy war mein Fels in der Brandung und der einzige Mensch, bei dem ich mich auf dem Weg von und nach Blackbeard’s Isle meldete. Ich hatte sogar ein Zimmer bei ihr angemietet, in dem ich meine Arbeitskleidung aufbewahrte. Es mag verrückt klingen, aber ich war scheinbar unfähig, Dr. Copen auch nur in die Nähe von Blackbeard’s Isle zu lassen. Wenn ich die Outer Banks verließ, weil die Arbeit mich rief - und das war für gewöhnlich der einzige Grund, warum ich wegfuhr -, zog
ich mich in Betsys Haus um, erledigte, was ich zu erledigen hatte, und kehrte dann nach Hause zurück. Alles, was mein arbeitendes Ich betraf, blieb vom Auto bis zu den Klamotten von der Insel weg. Einzig die Breeze ohne Titel und Nachname, die Strandguträuberin und Sammlerin von Treibholz und Austernschalen lebte auf Blackbeard’s Isle.
    Zu Betsys Haus führte eine alte, zweispurige Landstraße. Normalerweise huschten Schlangen, Stinktiere und verschiedene andere kleine Kreaturen darüber hinweg, aber heute war da nichts außer niedrigem, dichtem Gebüsch, das von Lebenseichen gesäumt wurde, von deren Ästen das Louisianamoos wie Hexenhaar herunterhing. Dieser Teil der Küste war Sumpfland, wofür die Wassermokassinschlangen und Grubenottern der lebende Beweis waren. Josie legte die fünfzehn Kilometer zu Betsys Haus in einem langsamen, gleichmäßigen Tempo zurück, das dem unbeschwerten Sonnenaufgang entsprach. Es war unmöglich, auf dieser Straße zu rasen, was Josie ohnehin nicht mochte. Gerüchten zufolge waren die Bauunternehmer damals, als die Straße gezogen worden war, pro Meter bezahlt worden, deshalb wand und schlängelte sie sich stetig auf ihrem Weg bei sämtlichen damaligen Anwohnern vorbei.
    Ich parkte und trat durch Betsys Hintertür ein. Bei meiner letzten Reise hatte ich Betsy sowohl bei der Abreise als auch bei der Heimkehr verpasst, aber diesmal war ich früh dran, und ich hoffte - hoffte wirklich -, dass sie zu Hause sein würde. Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass Betsys Seifenoper noch nicht angefangen hatte. Betsy sah schon seit der Highschool
jeden Tag dieselbe Seifenopfer, und soweit ich wusste, hatte nichts sie jemals davon abhalten können. Sie war nach dem Abschluss ihrer Ausbildung zur Krankenschwester an der UNC, der University of North Carolina, nach Hause zurückgekehrt, um den Jungen zu heiraten, mit dem sie seit der neunten Klasse ging. Sie hatte als Krankenschwester gearbeitet, bis die Klinik auf einer Rotation im Dienstplan bestanden hatte - was bedeutete, dass sie ihre Soap verpassen würde, also hatte sie gesagt: Scheiß drauf! Jimmy hatte eine Autowerkstatt eröffnet und verdiente ganz gut, deshalb beschloss sie, zu Hause zu bleiben und auf die Kinder zu warten. Sie kamen, ein Junge und ein Mädchen im Abstand von drei Jahren, und hatten den Anstand, Mamas Köpfchen und Daddys Arbeitsmoral zu erben. Im Herbst war die Jüngere ihrem Bruder an die UNC gefolgt. Seither war ich in ständiger Sorge um meine Freundin.
    Ich rief Betsys Namen, und einen Moment später kam sie in die Küche, während ich gerade im Kühlschrank nach einer Limonade Ausschau hielt. »Hast du ein paar Minuten?«, fragte ich.
    »Klar, jede Menge«, antwortete sie trocken. Sie hatte ihren Bademantel an und hielt eine Zigarette in der Hand. In letzter Zeit schien sie ihn manchmal den ganzen Tag zu tragen. Ihre Stimme hatte die Farbe von Rauch, mit blauen, spiralartigen Einfärbungen.
    »Willst du auch eins?«, fragte ich und hielt eine Dose Dr. Pepper hoch.
    »Gib mir ein Bier, Mädchen. Für Limo ist es noch zu früh am Tag.«
    Kommentarlos reichte ich ihr das Bier, dann setzten
wir uns an den Küchentisch. Sie hatte während der letzten Jahre zwanzig Pfund zugenommen, das meiste davon, nachdem ihr zweites Kind, Mary Alice, aufs College gewechselt war. Sie rauchte auch mehr,
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