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Wenn Du Luegst

Titel: Wenn Du Luegst
Autoren: Anna Salter
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auch so gewesen, fragte sie sich, dass sie von einem Fuß auf den anderen getreten war, voller Nervosität angesichts seiner vermeintlichen Freundlichkeit?
    Sie folgte Jerry schweigend zu dem Zimmer. Während sie sich ihm näherten, wurde ihr plötzlich schwindlig, und sie hatte den Eindruck, als löse sich ihre Schädeldecke ab. Das Innere trieb in der Luft wie Wackelpudding auf Wasser. Sie überlegte, ob sie die Hände auf den Kopf legen sollte, um sie festzuhalten, aber sie hatte nicht die Kraft, sie zu heben. Es war vermutlich ohnehin
zu spät. Sie konnte die Oberseite ihres Kopfs nicht mehr spüren und hatte das vage Empfinden, dass kalte Luft über ihr Gehirn strich, also war sie wahrscheinlich schon weg.
    Sie konzentrierte sich darauf, die Türen zu zählen, an denen sie vorbeikamen. Sie wollte anhalten und die Zahlen auf ihnen berühren. Auf jeder Tür befand sich so eine Zahl, auf jeder einzelnen. Wenn sie doch nur stehen bleiben und ihre Finger über die Zahlen gleiten lassen könnte. Warum sollte ein Mensch jemals weitergehen, wenn er stattdessen hier stehen bleiben und das tun konnte? Sie hoffte bei Gott, dass es eine ungerade Zahl von Türen sein würde, bevor sie zu Lilys kamen. Was sollte sie tun, wenn sie bei einer geraden enden würden?
    Lily würde nicht in dem Zimmer sein. Sie konnte nicht. Das stimmte alles nicht. Breeze würde Lily niemals wegschicken. Breeze würde sich um sie kümmern. Er hielt sie zum Narren, aber noch während sie sich das sagte, wusste sie, dass es nicht stimmte. Er stieß nie leere Drohungen aus. Aber vielleicht war ihm ein Fehler unterlaufen. Er konnte Breeze nicht überlistet haben. Lily würde nicht in diesem Zimmer sein, und die Adern an seinem Hals würden hervortreten, wenn sie es nicht wäre. Es war Jena gleichgültig, was danach geschehen würde - solange nur Lily nicht da war.
    Sie kamen immer näher zur Nummer 116, Lilys Zimmer, und Jenas Körper fühlte sich zunehmend schwerer an, so als wäre sie auf dem Jupiter. Sie spürte, wie sie dicker wurde, aber hauptsächlich von der Hüfte abwärts. Ihr Bauch fühlte sich so schwer an, dass sie überlegte, ob sie wohl schwanger aussah. Sie wagte nicht, nach unten
zu blicken. Ihre Beine und Knöchel mussten gewaltig sein.
    Sie sah, wie Jerry vor einer Tür anhielt, eine Plastikkarte einschob und dann rasch in das Zimmer trat. Sie hörte Lily bei seinem Anblick aufschreien und das Geräusch eines Schlags. Gnädigerweise geschah es dann endlich. Sie trieb irgendwo weit oben dahin und sah auf sich selbst und die Szene hinunter. Alles unter ihr wirkte distanziert, so als sähe sie einen Film.
    Von ihrem erhöhten Aussichtspunkt aus beobachtete sie, wie Jerry nach ihrem Arm griff und sie in das Zimmer zerrte, sie sah sich selbst, wie sie Lily anstarrte, die auf dem Boden lag. Lily schluchzte hysterisch und bedeckte ihr Gesicht mit den Armen. Sie sah, wie Jerry sie zweimal trat, bevor er sie hochhob und in einen Sessel warf. Er umklammerte die Armlehnen des Sessels und hielt sein Gesicht ganz nah vor das ihrer Tochter. Er zog eine Pistole aus seiner Tasche und zielte direkt auf Lilys Gesicht. Er brüllte nicht, sondern sprach ganz ruhig. Aus Lilys Zügen wich jede Farbe. Dann sah Jena, wie er ihr mit dem Handrücken einen Schlag verpasste, dass sie aus dem Sessel flog. Lilys Kopf krachte beim Fallen gegen die Wand.

    Jena setzte sich in dem dunklen Motelzimmer auf und lauschte Jerrys abgehackten Atemzügen neben ihr. Sie fragte sich, ob Lily nebenan schlief oder wach war. Vielleicht war sie tot, aber Jena glaubte das nicht. Sie konnte ihre Präsenz beinahe spüren. So war es schon seit Lilys Geburt gewesen. Ein Teil von ihr lauschte stets nach Lily.

    Sie sah zu Jerry hinunter und überlegte, wie es wohl sein mochte, ihn zu lieben. Es war schon so lange her, dass sie sich nicht mehr erinnern konnte. Wann hatte sie damit aufgehört? Manche Dinge enden, und es vergeht eine Weile, ehe man es bemerkt. So war es ihr ergangen. Sie hatte die Liebe nicht verschwinden sehen. Aber der Rest - das Gefühl, nur durch ihn zu existieren, und der ständige Geschmack der Angst in ihrem Mund -, der war geblieben.
    Bis jetzt. Nun schien es, als sei der Bann gebrochen, so wie bei einem Fieber, das schließlich nachlässt und verschwindet. Aber auch das traf es nicht ganz. Es war fast, als würde man einen Schritt zu weit machen, und plötzlich war man durch eine Tür gegangen, hinter der alles anders ist. Nur einen einzigen Schritt.
    Wenn Lily
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