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Weltraumpartisanen 21: Blindflug zur Schlange

Weltraumpartisanen 21: Blindflug zur Schlange

Titel: Weltraumpartisanen 21: Blindflug zur Schlange
Autoren: Mark Brandis
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brüllten: »Ob Serpens oder Ceres oder Andromeda, ob auf dem Grund des Meeres – allzeit bereit! Hurra!«
    Am letzten Ton biß sich die Geige fest. Sie kostete ihn aus. Sie schraubte ihn, wie schon einmal, in die Höhe, höher und höher.
    Das Podest stöhnte.
    »Schluß! Schluß! Ich befehle Ihnen, hören Sie sofort auf!«
    Der Ton kletterte weiter. Er schwang sich kaum noch hörbaren Höhen entgegen. Captain Romen und das Podest standen Auge in Auge. 
    Lieutenant Anderson sagte später aus: Es war ein Ton, wie ich ihn nie zuvor gehört hatte. Er war hoch, schrill und spitz. Und das Unglaubliche war, daß er sich immer noch steigerte. Er zerrte an den Trommelfellen. Er ging unter die Haut und brachte das Blut zum Sieden. Eine von den kleinen Glühbirnen platzte. Es hörte sich an wie ein Revolverschuß in einem Wildwestfilm. Der Ton schraubte sich unbarmherzig höher, immer weiter, immer entrückter. Die zweite Birne knallte, die dritte, die vierte. Es war, als feuerte da ein vorsintflutliches Maschinengewehr: Ratata!
    Ahmed Khan schrie erneut: »Aufhören! Aufhören! Wache!«
    Erst jetzt begriffen der Erste Steuermann und der Chief Agent, was da gespielt wurde.
    Captain Romen sah es aus den Augenwinkeln. Er sah, wie dem Chief Agent das Kichern im Gesicht gerann. Der Tibetaner duckte sich, ließ die Muskeln schwellen und setzte zum Sprung an. Er sah, wie der Erste Steuermann, von der Stimme seines Herrn alarmiert, sich anschickte, den Konzertsaal zu räumen. Fiorentino hob die Bell und legte auf ihn an.
    Ein zusätzliches Geräusch ließ sich vernehmen: das Stakkato eines unsauber laufenden Triebwerkes. Das Dingi setzte erneut zum Landeanflug an. Captain Romen schwitzte. Er keuchte. Er spielte, wie er noch nie in seinem Leben gespielt hatte. Er schraubte den Ton noch um eine volle Oktave weiter in die Höhe. Der Ton war fast nicht mehr zu hören, aber er war da: haarfein und vibrierend. 
    Captain Romen sagte später aus: In diesem Augenblick war ich davon überzeugt, daß ich das Spiel verloren hatte. Ich war mit meiner Kunst und mit meiner Fingerfertigkeit am Ende. Nie zuvor hatte ich ein herrlicheres Instrument in der Hand gehalten – eine Stradivari, Inbegriff meisterlichen altitalienischen Geigenbaus –, aber selbst diesem waren Grenzen gesetzt. Mehr gab das Instrument nicht her. In jedem Kasino wäre ich damit die große Nummer gewesen. Ich verstand einfach nicht, weshalb es nicht funktionierte.
    Das Podest verstummte. Ahmed Khan hatte begriffen, welches Schicksal ihm zugedacht war. Wenn er sich damit abgefunden hätte, wäre er nicht der alte, gefürchtete Pirat gewesen. Er erkannte, daß er seine Wachen zu spät alarmiert hatte und daß die Entscheidung unmittelbar bevorstand. Es ging buchstäblich um den Bruchteil einer Sekunde.
    Ahmed Khan reagierte. Zeitlebens war er ein listenreicher Kämpfer gewesen. Man durfte ihn nicht unterschätzen.
    Ahmed Khan ließ die Bremsdüsen aufheulen und legte die Vendetta auf die Seite. Was er damit anrichtete, war ein wüstes Durcheinander. Am meisten überraschte das abrupte Manöver den Ersten Steuermann, der soeben die Bell auf Captain Romen angelegt hatte. Er verlor das Gleichgewicht, taumelte vorwärts und klatschte mit der ganzen Wucht seines Anlaufs gegen die elektronische Mauer. Er erstarrte mitten in der Bewegung. Der Schrei, zu dem er ansetzte, erstarb. Er stand völlig aufrecht, unfähig, sich zu rühren. Etwas in seinen Augen erlosch – und plötzlich ließ seine Hand die Bell los.
    Die Bell schlitterte über die Flurplatten. Lieutenant Anderson erfaßte die Situation und machte einen Hechtsprung, aber bevor er die Bell zu fassen bekam, rutschte sie in einen der Absauger und war verschwunden.
    Der Fulgor -Pilot Albrecht sagte später aus: Als das passierte, hatte ich mit dem Leben bereits abgeschlossen. Ich stimmte in den Gesang ein wie einer, der Abschied nimmt von allem, was ihm lieb und teuer ist. Dann setzte auf einmal das Chaos ein. Der Tibetaner sprang mich und Piersanti an und griff daneben.
    Lieutenant Anderson fluchte.
    Man konnte hören, wie im Labyrinth der Versorgungsleitungen die Bell am Fallen war: von einem Absatz zum anderen.
    Captain Romen war, ohne die Geige abzusetzen, in die Knie gesunken. Noch einmal, um fast eine halbe Oktave, schraubte sich der Ton höher. Das Hurra nahm kein Ende.
    Der Co-Pilot der Fulgor , Piersanti, sagte später aus: Der Tibetaner war plötzlich verschwunden. Fiorentino klebte tot an der elektronischen Mauer.
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