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Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)

Titel: Warum die Deutschen? Warum die Juden?: Gleichheit, Neid und Rassenhass - 1800 bis 1933 (German Edition)
Autoren: Götz Aly
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Gagfah-Reihenhaus am Stadtrand. Es kostete 16 475,20 Reichsmark, davon wurden 11 300 als Kredit aufgenommen. Die Familie lag krumm, verzichtete auf Butter, Fleisch gab es nur sonntags – aber das seinerzeit für die höhere Schule erforderliche Schulgeld, der Klavierunterricht und dann das Studium der Töchter wurden bezahlt.
    Kurzum: Die Familie Schneider gehörte 1919 zur unteren Mittelschicht. Sie strebte in die nächsthöhere soziale Etage. Knappe materielle Mittel, Krieg, revolutionäre Wirren, Inflation und Weltwirtschaftskrise bedrohten den Lebensplan immer wieder. Familienvater Friedrich Schneider leuchtete das nationale Programm zur »sozialen Hebung« der unteren Volksklassen unmittelbar ein. Die NSDAP galt ihm als Partei der nationalen Selbstachtung, die den sozialen Aufstieg in Aussicht stellte und versprach, die Klassenschranken zu senken.
    Meine damals achtjährige Mutter entwischte 1931 des Öfteren in das nahe gelegene jüdische Kaufhaus Uhlfelder. Eine Attraktion ohnegleichen lockte halb München dorthin: die erste Rolltreppe der Stadt – bis zum dritten Stock. Das fand meine Mutter großartig, bis Friedrich ihr bedeutete: »Dort gehen wir nicht hin.« Im April 1945 zog eine lange Kolonne von KZ-Häftlingen an seiner Haustüre vorbei: »Das war der schlimmste Anblick meines Lebens«, erzählte er der Tochter bestürzt, und später sagte er: »Was man mit den Juden gemacht hat, das ging entschieden zu weit.« Friedrich Schneider hatte einen der vielen kleinen Teile dazu beigetragen, die in ihrer Gesamtheit Deutschland auf den Weg lenkten, der in die Gewalt- und Vernichtungsherrschaft ohnegleichen führte. Ich bewahre meinen Großvater Friedrich als herzensguten Menschen in Erinnerung.

    Der exemplarisch vorgestellte Lebenslauf von Friedrich Schneider ähnelt den Lebensläufen vieler NSDAP-Gauleiter frappierend. Wie dieser kamen fast alle 30 Gauleiter, die ich im Folgenden kurz vorstelle, aus Dörfern oder Kleinstädten. 17 von ihnen hatten Väter, die der Arbeiterklasse angehörten, zehn der Gauleiterväter können der unteren Mittelschicht, nur drei dem Bürgertum zugerechnet werden. Entsprechend der damaligen Konfessionsverteilung stammten knapp drei Fünftel der Gauleiter aus evangelischen, die anderen aus katholischen Elternhäusern.
    Betrachtet man die Indikatoren für den Aufstiegswillen, dann machten sechs der Gauleiter Abitur und studierten anschließend. Zwölf schlossen mit der Volksschule ab, zwölf brachten es zu Mittelschul- oder vergleichbaren Abschlüssen oder scheiterten im Gymnasium oder in der Realschule. Nur zwei der späteren Gauleiter wurden Arbeiter, sechs ergriffen den Aufstiegsberuf des Volksschullehrers, der damals noch kein Abitur und kein akademisches Studium erforderte, die anderen wurden Kaufleute, mittlere Beamte und Angestellte. Die Mehrzahl der späteren Gauleiter gehörte zur Gruppe derjenigen, die erstmals aus den tradierten sozialen Milieus ihrer Familien aufstiegen. In der anschließenden sozialbiographischen Skizze beschränke ich mich auf die NSDAP-Gaue innerhalb der Reichsgrenzen von 1937. Sofern in einem Gau der Leiter wechselte, nehme ich denjenigen, der am längsten amtierte. [309] Um den laufenden Text nicht zu stark zu unterbrechen, führe ich hier die ersten zehn der alphabetisch geordneten Kurzbiographien an, die anderen 20 finden sich in der Fußnote auf den Seiten 318–321: [310]
Josef Bürckel (1895–1944), katholisch, Sohn eines Handwerkers in Lingenfeld (Pfalz): besuchte nach der Mittleren Reife die Lehrerbildungsanstalt und wurde Volksschullehrer. 1926–1944 war er Gauleiter von Rhein-Pfalz (später: Saarpfalz, dann Westmark, einschließlich Lothringen), 1938/1939 zudem Reichskommissar für den Anschluss Österreichs.
Friedrich Karl Florian (1894–1975), evangelisch, Sohn eines Oberbahnmeisters in Essen: Realschule, Realgymnasium und anschließend Grubenbeamter der Preußischen Berginspektion, 1930–1945 Gauleiter von Düsseldorf.
Albert Forster (1902–1947), katholisch, Sohn eines Gefängnisoberwächters in Fürth: Humanistisches Gymnasium bis zur Mittleren Reife, kaufmännische Lehre, Bankangestellter, 1930–1945 Gauleiter von Danzig (später: Danzig-Westpreußen).
Joseph Goebbels (1897–1945), katholisch, Sohn eines Prokuristen in Rheydt: katholisches Gymnasium, Studium der Germanistik, Promotion, 1926–1945 Gauleiter von Berlin, 1933–1945 Reichspropagandaminister.
Josef Grohé (1902–1988), katholisch, neuntes von zwölf Kindern
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