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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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unbeholfenen Bewegungen einer Hochschwangeren lief sie bis zum Ende des Gebäudes, bückte sich und trat geduckt durch den T-förmigen Eingang in einen fast völlig dunklen Flur. Nur das Sternenlicht fiel durch die hohen Fenster herein und erhellte den Durchgang.
    Leise trappelten ihre Schritte über die festgetretene Erde. An der ersten Abzweigung wandte sie sich nach links, bückte sich durch eine weitere Tür und betrat ihr Zimmer. Das Bündel lag in einer Wandnische auf der Ostseite, seine glatte Hülle glänzte im Schein der durch das Fenster blinkenden Sterne.
    Einen ehrfürchtigen Singsang anstimmend, näherte sich Schafgarbe dem Bündel. Als sie es hochhob, spürte sie ein leichtes Kribbeln in
    den Fingerspitzen. Sie drehte es in den Händen und bewunderte ihre geschickte, kunstfertige Arbeit.
    Für die Ornamente am Rand der Hülle rote, gelbe, blaue und weiße Spiralen hatte sie sich die Muster auf den Schildkrötenpanzern zum Vorbild genommen. Aus der Handfläche der in der Mitte aufgemalten roten Hand starrte sie ein Auge so schwarz und leuchtend an, als sei es lebendig.
    »Bist du bereit?« fragte sie sanft. »Die Zeit zur Erneuerung der Welt ist gekommen.«
    Sie drückte das Bündel an ihre Brust, ging durch den dämmrigen Flur zurück und trat wieder in den Abend hinaus. Um die flammenden Punkte der Sterne am Himmel schwebten Dunstkreise, die in unheimlichem Licht zu erstrahlen begannen und den Goldton der vom Feuerschein beleuchteten Gesichter der Tänzer in rauchig überhauchtes Karmesinrot verwandelten. Schafgarbe ging zu Kranichmädchen zurück, ließ sich neben ihr niedersinken und lehnte sich abwartend an die weißgekalkte Wand.
    Ein durchdringender Schrei gellte durch die Menge.
    Ein weiterer folgte.
    Der alte Der das Holz trägt schlurfte rückwärts über den Platz und weihte den Weg, indem er gelbes Maismehl auf die festgetretene Erde streute. Seine grauen Haare bedeckten den mit blauer Farbe bemalten Rücken wie ein Umhang.
    Die Leute drängten nach vorn und versuchten, einen Blick auf die aus den unterirdischen Zeremonienkammern heraufschwebenden geisterhaften Gestalten zu erhaschen. In flüsternden Wellen brandete die Menschenmenge vor ihnen zurück und bildete eine Gasse für den Zug der Götter.
    Bedeutungsschweres, erwartungsvolles Schweigen senkte sich herab. Selbst das Seufzen des Windes verstummte, als die sechs Gestalten mit fließenden Bewegungen auf den Platz hinaustraten. An ihren Mokassins klingelten Glöckchen, prächtige Umhänge aus blauen und roten Papageienfedern schwangen um ihre Körper.
    Wieder erklangen die Trommeln - langsam, unendlich geduldig geleiteten sie die Götter in den flackernden Schein der Feuer. Sich wiegend und windend nahmen die Götter eine neue Gestalt an und verschmolzen zu zwanzig Hand hohen Figuren ohne Arme und Beine. Ihre Masken mit Augen aus Türkisen und verzerrten Mündern aus gehämmertem Kupfer fingen das schimmernde Licht der Flammen ein. Bisonhörner bogen sich wie flehende Hände nach oben, und lange hölzerne Schnäbel erzeugten in vollendeter Abstimmung mit der Trommel ein rhythmisches Klack-klack.
    Die Thlatsinas waren zu Anbeginn der Welt erschaffen worden, als die Menschen auf der Suche nach dem Mittelpunkt die heilige Straße des Lebens entlangwanderten. Am neunundvierzigsten Tag ihrer Reise mußten sie einen tosenden Fluß überqueren. Einige Kinder rutschten vom Rücken ihrer Mütter und stürzten in die reißenden Fluten. Sie verwandelten sich in merkwürdige Geschöpfe und schwammen den Fluß zum See der flüsternden Wasser hinab, unter dessen Wasseroberfläche sie eine Stadt gründeten. Als sie die Gebete ihrer Mütter vernahmen, versprachen sie, einmal in jedem Zyklus in die Welt der Menschenwesen zurückzukehren, den Großen Tanz zu tanzen und den Feldern Fruchtbarkeit zu bringen.
    Schafgarbe blickte in Nachtschattens Gesicht und mußte unwillkürlich lächeln. Ihre Tochter stand wie angewurzelt mitten auf dem Platz, die kindlich eckigen Knie bebten, gebannt starrte sie auf die seltsam deformierten Masken, die Menschenwesen, Vogel und Wolf darstellten.
    Plötzlich geschah etwas Merkwürdiges. Nachtschatten wandte sich leicht um und spähte angestrengt in die Dunkelheit zu den sich hoch auftürmenden Klippen hinüber. Ihr Mund öffnete sich, bewegte sich lautlos, und dann brach ein entsetzlicher Schrei aus ihr heraus.
    Lachend wiesen die Leute mit dem Finger auf Nachtschatten, die ihren Kiefernzweig und die Kürbisrassel fallen
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