Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vor dem Sturm

Vor dem Sturm

Titel: Vor dem Sturm
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
zu ihm gesprochen. Seit anderthalbhundert Jahren stand das Geschlecht auf zwei Augen; es sah darin einen Finger Gottes; zwei Brüder sollten nicht wieder in Waffen gegeneinander stehen.
    Die Dorfbewohner, wie kaum versichert zu werden braucht, hegten dies alles wie einen Schatz, und in den Spinnstuben wurde nichts eifriger verhandelt als die Frage, ob der alte Matthias gesehen worden sei oder nicht. Es war eine Art Ehrensache, ihn gesehen zu haben. Man scherzte über ihn und fürchtete sich. Die Bauern selbst waren nicht anders wie ihre Mägde. Auf dem Höhenzuge, dicht neben der Kirche, stand eine alte Buche, die teilte sich halbmannshoch über der Wurzel und wuchs in zwei Stämmen nach rechts und links. Das paßte den Hohen-Vietzern, und die Sage ging, daß beide Brüder, als sie noch Kinder waren, diesen Baum gemeinschaftlich gepflanzt hätten. Als aber Anselm von der Hand des jüngern gefallen sei, da habe sich der Stamm geteilt. Und noch andere wußten, daß Matthias, wenn er unten in der Kapelle gebetet, die große Nußbaumallee bis zur Kirche hinaufsteige und den Buchenstamm da, wo er sich teilt, zu umfassen und zusammenzupressen suche. Aber umsonst. Er sitze dann zu Füßen des Baumes und klage laut.
    Aber wenn sich das nach dem Spukhaften und Schauerlichen drängende romantische Bedürfnis in diesen trüben Bildern mit Vorliebe aussprach, so drängte doch auch ein anderer Zug in den Herzen der Hohen-Vietzer ebenso entschieden auf endliche Versöhnung hin, und einen Reimspruch kannte jung und alt, der dieser Hoffnung auf Versöhnung Ausdruck gab. Auch im Herrenhause kannten sie ihn sehr wohl, und der Reimspruch lautete:
     
    Und eine Prinzessin kommt ins Haus,
    Da löscht ein Feuer den Blutfleck aus,
    Der auseinander getane Stamm
    Wird wieder eins, wächst wieder zusamm',
    Und wieder von seinem alten Sitz
    Blickt in den Morgen Haus Vitzewitz.
     
     
Drittes Kapitel
Weihnachtsmorgen
    An Lewins Seele waren inzwischen unruhige Träume vorübergegangen. Die Fahrt im Ostwind hatte ihn fiebrig gemacht, und erst gegen Morgen verfiel er in einen festen Schlaf. Eine Stunde später begann es bereits im Hause lebendig zu werden: auf dem langen Korridor, an dessen Nordostecke Lewins Zimmer gelegen war, hallten Schritte auf und ab, schwere Holzkörbe wurden vor die Feuerstellen gesetzt und große Scheite von außen her in den Ofen geschoben. Bald darauf öffnete sich die Tür, und der alte Diener, der am Abend zuvor seinen jungen Herrn empfangen hatte, trat ein, einen Blaker in der Hand. Hektor blieb liegen, reckte sich auf dem Rehfell und wedelte nur, als ob er rapportieren wolle: Alles in Ordnung. Jeetze setzte das Licht, dessen Flamme er bis dahin mit seiner Rechten sorglich gehütet hatte, hinter einen Schirm und begann alles, was an Garderobestücken umherlag, über seinen linken Arm zu packen. Er selbst war noch im Morgenkostüm; zu den Samthosen und Gamaschen, ohne die er nicht wohl zu denken war, trug er einen Arbeitsrock von doppeltem Zwillich. Als er alles beisammen hatte, trat er, leise wie er gekommen war, seinen Rückzug an, dabei nach Art alter Leute unverständliche Worte vor sich her murmelnd. An dem zustimmenden Nicken seines Kopfes aber ließ sich erkennen, daß er zufrieden und guter Laune war.
    Die Türe blieb halb offen, und das erwachende Leben des Hauses drang in immer mahnenderen, aber auch in immer anheimelnderen Klängen in das wieder still gewordene Zimmer. Die großen Scheite Fichtenholz sprangen mit lautem Krach auseinander, von Zeit zu Zeit zischte das Wasser, das aus den naß gewordenen Stücken in kleinen Rinnen ins Feuer lief, und von der Korridornische her hörte man den sichern und regelrechten Strich, mit dem Jeetzes Bürste der Hacheln und Härchen, die nicht loslassen wollten, Herr zu werden suchte.
    Alles das war hörbar genug, nur Lewin hörte es nicht. Endlich beschloß Hektor, der Ungeduld Jeetzes und seiner eigenen ein Ende zu machen, richtete sich auf, legte beide Vorderpfoten aufs Deckbett und fuhr mit seiner Zunge über die Stirn des Schlafenden hin, ohne weitere Sorge, ob seine Liebkosungen willkommen seien oder nicht. Lewin wachte auf; die erste Verwirrung wich einem heiteren Lachen. »Kusch dich, Hektor«, damit sprang er aus dem Bett. Der Morgenschlaf hatte ihn frisch gemacht; in wenig Minuten war er angekleidet, ein Vorteil halb soldatischer Erziehung. Er durchschritt ein paarmal das Zimmer, betrachtete lächelnd einen mit vier Nadeln an die Tischdecke festgesteckten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher