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Von Ratlosen und Löwenherzen

Von Ratlosen und Löwenherzen

Titel: Von Ratlosen und Löwenherzen
Autoren: Rebecca Gablé
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Christen oder Anhänger ihrer alten Naturreligion, während die Angelsachsen Wotan und Thor um Beistand in ihren Schlachten baten. Oft fanden ihre Gebete Gehör, und über die nächsten 250 Jahre rissen die Angelsachsen sich die einstige römische Provinz Britannia fast vollständig unter den Nagel. Die keltischen Briten wurden ins heutige Wales und Cornwall abgedrängt. Nicht einmal ihr Anführer Artus, der sich den Angelsachsen in zwölf Schlachten entgegenwarf und zwölfmal siegte (und das ist alles , was es an historischen Belegen über ihn gibt), konnte verhindern, dass sie von der Bühne der englischen Geschichte verschwanden.
    Bis zum Jahr 700 hatten die germanischen Siedler sieben Königreiche gebildet: Kent, Ostsachsen (Essex), Südsachsen (Sussex), Westsachsen (man ahnt es schon: Wessex), East-Anglia, Mercia und Northumbria, die bis ins neunte Jahrhundert Bestand hatten. »Heptarchie« wird diese Epoche genannt, wegen der Anzahl der Königreiche (sieben heißt auf Griechisch »hepta«) und weil man mit einem griechischen Fremdwort bei den Unbedarften immer Eindruck schinden kann. Die Angeln, Sachsen, Jüten und Friesen konnten aber kein Griechisch und nannten sich selbst der Einfachheit halber »Angelcynn«, was »Volk der Angeln« heißt, und ihr Land »Engla-Land«, was, wie Sie sicher erraten haben, »Land der Angeln« bedeutete.
    England im 8. Jahrhundert: »Heptarchie«. Die hier eingezeichneten Grenzen sollen nur eine etwaige Vorstellung geben. In Wahrheit verschoben sie sich ständig.
    Das führte zu einem ebenso drolligen wie folgenschweren Missverständnis: Als Papst Gregor der Große von diesem Land und diesem Volk hörte, war er überzeugt, der Name sei ein göttliches Zeichen, eine Aufforderung, diese Menschen zu missionieren und zu »Engeln Gottes« zu machen. Also schickte erumgehend einen Mönch namens Augustin ins ferne Britannien, der dort 597 ankam. Augustin hatte das große Glück, dass er in Kent landete, denn es war das weltoffenste der sieben Königreiche, unterhielt aufgrund seiner Geografie engeren Kontakt zum Kontinent als seine Nachbarn, und die kentische KöniginBertha entstammte dem fränkischen Königshaus und war schon getauft. So wurde Augustin also nicht Wotan und Thor geopfert, sondern Berthas Gemahl Æthelbercht, der König von Kent, ließ sich zum neuen Glauben bekehren. Vielleicht aus Überzeugung. Vielleicht auch nur, damit Bertha endlich Ruhe gab. Das ist nicht überliefert.
    Jedenfalls setzte von Kent aus eine Missionsbewegung in nördlicher und westlicher Richtung ein, und eine zweite begann 633 von Norden aus unter der Führung irischer Mönche, die auf der zu Northumbria gehörenden Insel Lindisfarne ein Kloster und einen Bischofssitz gründeten. Die Christianisierung der heidnischen Angelsachsen ging natürlich nicht reibungslos und ohne Rückschläge vonstatten, doch schon in der zweiten Hälfte des siebten Jahrhunderts war praktisch ganz »Engla-Land« bekehrt (wenn auch sicher nicht alle Einwohner Engel geworden waren).
    Anfangs waren die Missionare aus Rom und aus Irland einander nicht grün, weil sie unterschiedlichen Glaubenstraditionen angehörten. Der Streit machte sich vor allem an der Frage fest, wie das Osterfest zu berechnen sei. Das kommt uns heute albern vor, doch wir sollten nicht vergessen, dass Ostern das höchste aller christlichen Feste ist und die Fähigkeit, diesen wichtigen Tag zu bestimmen, eine Art Symbol für das Wissensmonopol der Kirche in allen Glaubensfragen darstellte. 663 fand im Kloster zu Whitby eine Synode statt, auf der diese und andere Streitfragen zugunsten der römischen Fraktion entschieden wurden. (Wer je in Whitby war, wird sich vielleicht fragen, warum diese wichtige Synode ausgerechnet auf einer so entlegenen, stürmischen Klippe an der Küste von Yorkshire stattfand. Die Antwort ist: Hild, die Äbtissin von Whitby, war die Großnichte des Königs von Northumbria. Vermutlich wollte sie einfach mal ein großes Event ausrichten, oder vielleicht wollte sie in die Geschichte eingehen, was ihr ja auch gelungen ist. Und gute Beziehungen konnten eben schon im 7. Jahrhundert das Unmögliche möglich machen.)
    Damit war der Kirchenstreit jedenfalls beigelegt, und viele Historiker glauben, dass dies eine wichtige Voraussetzung für den politischen Einigungsprozess des angelsächsischen Englands war. Wie überall in Europa setzte mit der Christianisierung jedenfalls eine rasche kulturelle Entwicklung ein, die uns z.B. die ersten
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