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Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Autoren: Karl-Heinz Paqué
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Global sorgten der Marshall-Plan, die stabile Währungsordnung von Bretton Woods, die Liberalisierung des Handels im Rahmen des GATT und der Weg in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft für einen Schub der Handelsintegration, von dem fast alle Industrienationen profitierten. Für Deutschland (und im Übrigen auch Österreich und Italien) war er besonders ertragreich, gerade weil die chaotische Zwischenkriegszeit Potenziale der Integration ungenutzt gelassen hatte – aufgrund politischer Wirren und der Hinwendung zur Autarkiepolitik der Nationalsozialisten (beziehungsweise der italienischen Faschisten). In diesem Sinne ging es tatsächlich um eine Art Aufholen des Versäumten – und Wiederanknüpfen an den „natürlichen Wachstumstrend“, der sich in der Wilhelminischen Zeit abgezeichnet hatte.
    Auf nationaler Ebene kam hinzu, dass Deutschland über eine noch immer gesunde (und durchaus moderne) industrielle Basis verfügte, die bestens platziert war, um die neuen Chancen auch wahrzunehmen. Denn die anlaufende weltwirtschaftliche Integration nutzte vor allem den modernen Investitionsgüter- und Grundstoffindustrien, in denen Deutschland trotz der Misere der Zwischenkriegszeit jene Spitzenposition bewahrte, die sich schon in der Kaiserzeit angedeutet hatte. In der Tat war die deutsche Wirtschaft, wie sich jetzt zeigte, technologisch nie wirklich zurückgefallen, trotz aller politischen Wirren. Vor allem der massiv einsetzende Fortschritt im Maschinenbau und in der Elektrotechnik sowie jetzt auch im boomenden Automobilbau schuf für Deutschland optimale Wachstumschancen in einer Welt, die sich zunehmend motorisierte.
    Aber zurück zum Arbeitsmarkt, wo die industrielle Expansion fast mühelos für die nötigen Arbeitsplätze sorgte. Spätestens 1957, also schon nach nur wenigen Jahren Wirtschaftswunder, war das Potenzial von erwerbslosen Vertriebenen weitgehend integriert, und zwar auf nachhaltig profitablen Arbeitsplätzen der privaten Wirtschaft, vor allem der Industrie. Dies galt nicht nur als wirtschaftlicher, sondern auch als politischer Erfolg ersten Ranges. Er trug viel dazu bei, das Vertrauen in den neuen Staat, die junge Bundesrepublik, zu stärken. Kanzler Adenauer und sein Wirtschaftsminister Erhard, der Vater der sozialen Marktwirtschaft, und ihre seit 1949 regierende CDU/FDP-Regierung erreichten auch deshalb um diese Zeit den Zenit ihrer Popularität.
    Ab Mitte der 1950er-Jahre wurden Arbeitskräfte knapp. Die Zahl der offenen Stellen stieg 1955 erstmals im Jahresdurchschnitt über 200.000. Es begann die Zeit der Zuwanderung. Sie speiste sich aus zwei Quellen. Zunächst waren es vor allem DDR-Flüchtlinge, die über die gesamten 1950er-Jahre – und in zunehmendem Maße – die Chance nutzten, ihr berufliches Glück im Westen zu finden. Bis zum Mauerbau 1961 flohen rund zwei Millionen Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik und nach West-Berlin, davon rund die Hälfte im erwerbsfähigen Alter, etwa 13 Prozent aller DDR-Erwerbstätigen. 22 Die meisten von ihnen waren hervorragend ausgebildete Fachkräfte, die im Durchschnitt mindestens das gleiche Niveau an Qualifikation und Motivation mitbrachten wie die westdeutschen Arbeitskräfte selbst.
    Die Atempause
    DDR-Wirtschaftspolitik im Schatten der Mauer
    Am 13. August 1961 wurde die Berliner Mauer gebaut. Dies war ein grausamer Schlag gegen die Menschlichkeit. Aus Sicht der Planer im Politbüro der DDR war es aber eine vernünftige, wenn auch verzweifelte Entscheidung. Denn die extreme Knappheit an Arbeitskräften in Deutschlands Westen hatte den ständigen Strom der Abwanderung qualifizierter Erwerbspersonen nochmals kräftig anschwellen lassen. Dieser gefährliche Aderlass war nun beendet. Endlich konnte in der DDR jene wirklich eigenständige Wirtschaftspolitik betrieben werden, die der sozialistischen Parteiführung immer vorschwebte. Man schaffte sich eine Atempause.
    Und diese Atempause wurde zunächst tatsächlich genutzt. Immerhin gelten die weiteren 1960er-Jahre in der DDR zu Recht als eine Zeit durchaus stabilen Wirtschaftswachstums. Es ist jene Phase der kurzen DDR-Geschichte, in der die Bevölkerung mit jenen modernen Konsumgütern ausgestattet wurde, die auch in den westlichen Industrieländern auf der Tagesordnung der wirtschaftlichen Entwicklung standen: Kraftfahrzeuge, Fernsehapparate, Waschmaschinen und vieles mehr. Sie verbreiteten ein erstes Gefühl des bescheidenen Wohlstands. Natürlich waren sie in Design, Funktionalität,
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