Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verrückte Lust.

Verrückte Lust.

Titel: Verrückte Lust.
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
waren nicht Valentino und Bobby Walthour hierher gekommen? Welcher von denen, die jemals Berühmtheiten gewesen waren, war nicht irgendwann mal hier gewesen? Sogar Mary Garden war majestätisch durch diesen Liebestod aus Kerzenwachs und aschgrauen Schatten gerauscht. Und Frank Harris mit seinem mächtigen Schnurrbart und dem würdevollen Gang – hatte er nicht in dieser FledermausDüsternis gesessen und sich das ermüdende Geplapper seiner Bewunderer angehört? Hier hatte O'Neill seinen Koboldträumen nachgehangen, hier hatte Dreiser sich mißmutig und mürrisch auf einen Stuhl fallen lassen und war mit wildem, brütendem Blick über die Menschheit hergezogen, mit dem Blick seiner melancholischen Augen, mit den Augen eines Genies, mit Augen, die alles enthalten konnten, was man darin sehen wollte.

    Es war lange nach Mittag, als Tony Bring ins »Caravan« kam. Eine große Frau mit roten Haaren ging von Tisch zu Tisch und blies die Kerzen aus. In der Ecke klimperte ein Klavier. Ein Leben im Untergrund, dachte er, während er die aufgedunsenen Gesichter musterte, auf welche die Schatten grausame Spuren von Laster und Faulheit zeichneten. Irgendwie bedrückten ihn nicht die Bosheit, sondern die Trostlosigkeit des Lebens und die Aussichtslosigkeit aller Bemühungen. Schwaden von Zigarettenrauch verdichteten sich zu dünnen Wölkchen und zogen wie leise Akkorde über den Silhouetten dahin. Hier und da verglühte qualmend ein Kerzendocht und erfüllte den Raum mit einem beißenden, erstickenden Geruch.
     Weit hinten in der Düsternis saß eine massige, steinerne Gestalt und trommelte nervös mit den Fingern. Aus der Entfernung sah das Gesicht des Mannes nicht unsympathisch aus; von nahem wirkte es faltig und verquollen, als käme es gerade vom Hackblock eines Metzgers. Es war das Gesicht eines Gladiatoren – abgenutzt, verwittert wie das einer Statue, die jahrhundertelang Regen und Frost ausgesetzt war.
      Mach sie schnell fertig, lautete Earl Biggers Motto. Und je größer sie waren, desto besser fand er es. Sie konnten sich einölen, soviel sie wollten – wenn er sie erst einmal gepackt hatte, war das Spiel vorbei, und sie bekamen eine Gratisfahrt ins Krankenhaus. Doch wenn man den niedergeschlagenen Ausdruck auf seinem Gesicht sah, hätte man meinen können, daß er es gewesen war, der letzte Nacht einen Kampf verloren hatte. Er war wütend. Mechanisch befühlte er seine Ohren, von denen eines eingerollt war wie eine Knospe. Ein säuerliches Lächeln huschte über sein Gesicht. Noch so ein Jahr, sagte er zu sich, und ich bin reif für den Zoo.
     Die Frau mit den roten Haaren streifte ihn im Vorbeigehen. Er packte sie am Arm. »Keine Ausreden jetzt«, sagte er. »Wo ist die Schwalbe mit den nackten Beinen hin?«
     »Sei nicht so grob«, sagte die Frau. »Ich hab dir doch gesagt, sie ist gleich wieder da.«
     »Sie macht wohl einen kleinen Spaziergang… mit ihrer Freundin.«
     »Ja, mit ihrer Freundin.«
     »Hör mal, wenn sie einen Mann will, warum nimmt sie dann nicht mich? Sieh mich an! Ich bin ein Mann, siehst du?« Er warf sich in die Brust.
     Tony Bring war in seine Gedanken vertieft und schenkte diesem Wortwechsel keine Beachtung, im Gegensatz zu anderen, die amüsiert zuhörten. Seine Gedanken trieben in die Düsternis, ohne Form, ohne Inhalt. Während er noch grübelte, trippelte Hildred herein. An ihrer Seite klebte eine große, schweigsame Gestalt, deren rabenschwarzes, in der Mitte gescheiteltes Haar in üppigen Wellen auf ihre Schultern fiel. Sie war wie ein Stück gemeißelter Marmor, das noch nicht ganz vom Block getrennt war.
     »He, du!« rief eine laute, dröhnende Stimme. Hildred fuhr herum. Das schwache, weiche Licht von der Straße gab ihrem Gesicht einen matten Glanz; um ihren Mund lag ein begieriges Beben, eine zarte, feinfühlige, kaum wahrnehmbare Bewegung. Als sie sich schwungvoll und engelhaft auf ihn zubewegte, bemerkte er den Glanz, der von ihr ausging und sie verwandelte. Diese Vision war so überwältigend, daß es, als eine massige, affengleiche Gestalt sich erhob und Hildred abfing, ihm vorkam, als hätte sich eine bedeutungslose Wolke vor sie geschoben und ihm den Blick verstellt. In jener gespannten Gemütsverfassung, die der Desillusionierung vorausgeht, wartete er einen Augenblick, und dann – es erschien ihm unerklärlich und unglaublich – nahm Hildred neben dem Affen Platz und begann, sich mit ihm zu unterhalten.
     Eine Geste der Höflichkeit, beruhigte er sich und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher