Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verrückte Lust.

Verrückte Lust.

Titel: Verrückte Lust.
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
grinste, erschienen zwischen den dicken, formlosen Lippen ein paar braune Zahnstummel und die Spitze seiner feuchten Zunge. Er lachte unablässig – es klang wie das Gurgeln eines Gullis.
     Die Schlampen, für deren Ohren seine gestammelten Andeutungen bestimmt waren, musterten ihn mit blödem Unverständnis. Was das andere Geschlecht betraf, stellte er nur eine einzige Bedingung: daß diese Frauen die zu seiner Befriedigung erforderlichen Organe besaßen. Im übrigen war es ihm gleichgültig, ob sie braun oder weiß waren, ob sie schielten oder taub waren, ob sie krank oder schwachsinnig waren. Und was diesen kleinen Trottel Willie Hyslop und seine Pferdchen anging, so konnte man nicht wissen, was sie eigentlich waren, es sei denn, man warf einen Blick auf das, was sie unter der Gürtellinie hatten – und selbst dann stand man vor einem komplizierten Problem.
     »Dieser eklige, widerwärtige Kerl!« rief Hildred, als sie das Lokal verlassen hatten. »Ich verstehe nicht, wie du ihn ertragen kannst.«
     »Ach, er ist gar nicht mal so schlimm«, sagte Vanya. »Ich verstehe nicht, warum du ihn mehr verachtest als die anderen.«
     »Ich kann's nicht ändern«, sagte Hildred. »Es ärgert mich, daß du ihm erlaubst, dich zu benutzen.«
     »Aber ich hab dir doch gesagt, ich bin pleite… völlig pleite. Wenn er nicht gewesen wäre, dieser kleine Idiot, dann weiß ich nicht, wo ich heute wäre.«
     Dieser Wortwechsel fand auf der Straße vor Vanyas Wohnung statt.
     Warum bleibt sie hier stehen? dachte Hildred. Warum bittet sie mich nicht hinauf?
     Als hätte sie ihre Gedanken erraten, trat Vanya unbehaglich von einem Fuß auf den anderen, wurde eigenartig verlegen und unternahm unschlüssige Versuche, die Unterhaltung in die Länge zu ziehen. Ihr ging etwas durch den Kopf, das sie den ganzen Abend schon hatte aussprechen wollen. Mehr als einmal hatte sie versucht, sich dem Thema auf Umwegen zu nähern, aber Hildred war entweder begriffsstutzig oder aber nicht willens gewesen, ihr auch nur ein kleines bißchen entgegenzukommen. »Würdest du denn gern mit mir nach Paris fahren?« sagte Vanya unvermittelt.
     »Es gibt nichts, was ich lieber täte. Aber…«
     »Hör mal, du findest es doch nicht merkwürdig, daß ich so mit dir rede, wie ich es heute abend getan habe, oder?«
     »Ich hab das Gefühl, als würde ich dich schon mein Leben lang kennen.« Und dann fügte sie unvermittelt hinzu: »Hier wohnst du also?«
     »Im Augenblick«, sagte Vanya und nickte.
     Sie schwiegen einen Moment.
     »Vanya«, sagte Hildred plötzlich und mit leiser, eindringlicher Stimme, »Vanya, ich möchte, daß du dir von mir helfen läßt. Du mußt! Das kann nicht so weitergehen.«
     Vanya nahm Hildreds Hand. Sie sahen einander in die Augen. Eine ganze Minute lang standen sie so da, und keine von beiden wagte etwas zu tun, was über das gesprochene Wort hinausging.
     Schließlich sagte Vanya ruhig: »Ja, ich werde mir von dir helfen lassen… Gern… aber wie?«
     Hildred zögerte. »Das«, sagte sie, »weiß ich auch nicht.« Die Worte fielen langsam wie Schneeflocken von ihren Lippen. »Betrachte mich einfach als deine Freundin«, fügte sie ernsthaft hinzu.
     Vielleicht war es die Wirkung dieser letzten Worte, vielleicht auch der Entschluß, ein geplantes Vorhaben auszuführen – jedenfalls drehte Vanya sich abrupt um und sprang die Stufen zur Haustür hinauf. Sie sah hinunter zu ihrer leicht überraschten Begleiterin, ihrer Freundin, und bat sie zu warten. »Nur ein paar Minuten«, sagte sie. »Ich habe etwas für dich.«

    4

    Am Anfang waren ein paar Kuhtriften, und außer den Kuhtriften gab es nichts im Village. Heute liegt es da wie eine kranke Hure, die von einem Anfall von Delirium tremens entkräftet ist. Trübselig. Schmierig. Deprimierend. Touristen, die sich mühsam dahinschleppen. Dichter, die seit 1917 nichts mehr geschrieben haben. Jüdische Piraten, deren Säbel keinem mehr Angst einjagen. Schlaflosigkeit. Verdrehte Liebesträume. Vergewaltigungen in Telephonzellen. Perverse vom Sittendezernat, die Laternenpfähle umarmen. Plattfüßige Kosaken. Eine Boheme, die ein Bruchband trägt. Hängematten im zweiten Stock.
     Jede Nacht tauchte, so regelmäßig wie ein Uhrwerk, ein Spanner vor dem »Caravan« auf und erleichterte sich. Ein guter, vergammelter Laden mit Atmosphäre – oder vielmehr mit dem, was davon noch übrig war. War es nicht hier gewesen, wo O. Henry seine Meisterwerke geschrieben hatte? Und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher