Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Valentine

Valentine

Titel: Valentine
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
Vom Netzwerk:
zurückgehen.«
    Er glaubte ihr nicht, dass sie eingeschlossen war. Warum sollte er auch ? Seine Aufforderung war logisch.
    »Ich kann nicht.« Bereits in dem Augenblick, in dem diese Worte über ihre Lippen kamen, hasste Valentine sich dafür. Es klang kläglich und unwürdig. Als wäre sie durch und durch ein verängstigtes unselbstständiges Weibchen und nicht eine starke selbstbewusste Vampirin.
    »Was?«
    »Je ne peux pas!«, rief Valentine verzweifelt.
    »Pourquoi pas ? Warum nicht?«
    Eine aus seiner Sicht berechtigte Frage. Wenn sie sich ernsthaft Hilfe von ihm er hofft e , obwohl es fern ihrer Vorstellungskraft war, wie diese aussehen sollte, dann war sie ihm eine plausible Antwort schuldig.
    »Ich … habe Angst.«
    »Vor mir?« Er klang überrascht. »Das müssen Sie nicht.«
    »Ähm, nein. Es ist der Raum. Er ist so eng.«
    Stille.
    »Maurice? Sind Sie noch da?«
    »Als Kind hatte ich Angst , im Dunkeln zu schlafen. Ich bildete mir ein, die Wände des Zimmers kämen näher und näher, bis sie an mein Bett stießen.«
    Valentine wagte kaum zu atmen. Sie fühlte die Wände, wie sie ihren Körper bedrängten. »Und dann?«, stieß sie mühsam hervor.
    »Dann schloss ich die Augen und stellte mir vor, ich läge auf einer Wiese. Einer großen Wiese. Und ich schau t e in den Himmel …«
    Sprich weiter, dachte Valentine. Bitte sprich weiter. Seine Stimme klang angenehm warm, verbreitete Ruhe, war ausgesprochen männlich – und sinnlich. Ein erregendes Kribbeln erfasste ihren ganzen Körper , bis hinab in ihren Schoß. Sie stöhnte unwillkürlich auf. Dieses Gefühl hatte sie beinahe vergessen , und wenn sie dann doch daran gedacht hatte , war es stets mit unangenehmen Erinnerungen und Angst verbunden. Jetzt nicht. Verdutzt registrierte sie ein zartes Pulsieren in ihrem Schoß.
    »… er ist dunkelblau, mit pulsierenden Sternen, très petites …«
    Verwundert stellte sie fest, dass er nun auf Französisch fortfuhr, und zwar akzentfreier , als sie Deutsch sprach, fast so, als wäre es seine Muttersprache. Sie hörte nicht mehr auf die einzelnen Worte, nur noch auf das Vibrieren in seiner Stimme, das ihre Ängste wie in einen Kokon einhüllte und wegsperrte.
    »Kommen Sie jetzt, Valentine. Ich gehe nicht weg, ehe Sie mir gegenüberstehen.«
    »Pourquoi – warum?«
    Maurice lachte leise. »Ich möchte die Frau kennen lernen, die sich nachts allein in eine dunkle Krypta wagt.«
    Kennen lernen? Der hatte keine Ahnung, wer sie war. Andererseits, sie selbst hatte auch noch nie einen Menschen wirklich kennen gelernt. In f rüher er Zeit , bevor die Vampirgemeinschaft Blutbanken eingerichtet hatte, da hatte sie Menschen aufgelauert, sie gebissen und von ihrem Blut getrunken. Immer nur so viel, dass es dem Wirt nicht schadete. Es war einfach, den Geist dieser Menschen vergessen zu lassen und die Wunde zu verschließen, so dass wenige Minuten später der Biss schon nicht mehr zu sehen war. Kennen gelernt und gesprochen hatte sie nie einen Menschen. Der Fremde hatte ihr Interesse geweckt. Denn auch in ihr brannte nun die Frage, was ein Mensch n ächtens hier unten verloren hatte. Sie wollte ihn sehen, ihm gegenüberstehen … Mit einem Mal geschah es fast von selbst , und sie zuckten beide erschrocken zurück, als sie einander im Schein seiner Taschenlampe in die Augen blickten. So nah, dass sie die feinen hellen Linien in seinen rehbraunen Augen sah und die unverhohlene Neugier, die darin lag.
    Dann lachten sie beide nervös auf.

Kapitel 4
    Die Frage, ob er die Fremde suchen oder ihrer Begegnung keine Bedeutung beimessen sollte, stellte sich für Maurice keine Sekunde. Er war an den Ort der schrecklichen Geschehnisse gekommen, um für sich selbst Klarheit zu gewinnen und die vielen neuen Informationen zu verdauen, die ihn seit gut vierundzwanzig Stunden umtrieben . Falls er bislang noch daran gezweifelt hatte, dass es an diesem Ort nicht mit rechten Dingen zuging, so war die geheimnisvolle Unbekannte der Beweis. Niemand vermochte so schnell und lautlos durch dunkle Gänge zu rennen. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte, falls sie nicht menschlich war, sondern ein Vampir oder ein anderes Wesen. Wüsste er nicht bereits von der Existenz anderen Lebens, hätte er vermutet, plötzlich den Verstand verloren zu haben oder einer Sinnestäuschung erlegen zu sein.
    Mitten in seiner Erzählung, mit der er sie zu beruhigen hoffte, stand die Fremde auf einmal vor ihm , und Maurice zuckte zusammen. Sein Herzschlag beschleunigte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher