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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition)
Autoren: Doris Lessing
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Exzentriker und Außenseiter, sonderbare Käuze und Originale, die sich eine Welt geschaffen hatten, in der sie den Ton angaben. Richtige Boheme. Genau wie wir damals in Salisbury in Südrhodesien. Wie hätte ich nicht verstehen sollen, dass jemand dort kleben bleiben konnte? Mir wäre es nicht anders ergangen, da bin ich mir ziemlich sicher. Es fällt wahrlich nicht schwer, mich selbst dort zu sehen, wie ich wieder einen über den Durst trinke, was ich seit 1942 und dem Ende meiner ersten Ehe kaum je gemacht hatte. Und wie ich mich dann in einen von diesen Dichtern oder Malern verliebe. Nicht, weil sie strahlende Helden, sondern weil sie verlorene Seelen sind. Unwiderstehlich. Aber das waren keine Männer, in die man sich verlieben sollte. Es sei denn, man hat besonderes Talent zum Leiden. Ob Sie es glauben oder nicht, aber mir war bis dahin noch nicht klar, dass ich anfällig war für Tränen. Nein, wirklich, es ist gut möglich, dass Soho mich ruiniert hätte, aber ich wurde davor bewahrt, weil ich eine Verantwortung hatte, das Kind. Es war eine schwere Verantwortung. Der Kleine hatte ein ausnehmend freundliches Wesen und war sehr kontaktfreudig, aber kein guter Schläfer. Er wurde früh um fünf Uhr wach und schlief abends um neun oder zehn Uhr ein, tagsüber schlief er nie. Und das ging so, bis er neun oder zehn war. Das bedeutete, dass ich ebenfalls um fünf Uhr wach wurde. Damals hielten Mütter es für selbstverständlich, dass sie mit ihren Kindern aufstanden, heute kann es passieren, dass eine Frau noch liegen bleibt und ihr Kind in der Zwischenzeit sich selbst überlässt. Manchmal stundenlang. »Das ist mein Recht.«
Autres temps
, sehr
autres meres.
    Peter genoss – achtzehn Stunden am Tag – diese wunderbare Pension, die wie eine Ansammlung von Kisten aus dem Märchenland Brobdingnag aussah, den wunderbaren Garten mit seinen vielen Obstbäumen und die vielen anderen Kinder. Was mich anbelangt, so sah ich einfach zu und wartete. Ich habe einen großen Teil meines Lebens mit Warten zugebracht. Frauen warten oft, öfter als Männer. Es gibt die berühmte Frage nach der Passivität von Frauen, aber die ist häufig ein Schutzmechanismus. Und vielleicht ist es ebenfalls ein Schutzmechanismus, wenn man in die Zukunft blickt und Pläne macht, diese Pläne jedoch auf Illusionen beruhen. Ich wusste, dass ich es in London nicht leicht haben würde, aber ich vertraute darauf, dass Gottfried irgendwo in meiner Nähe sein würde, dem kleinen Jungen ein Vater und mir ein guter Freund. Ich rechnete nicht damit, das Kind ganz alleine großziehen zu müssen, wie ich es dann tatsächlich musste. Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich zumindest besorgt gewesen. Aber ich fürchtete mich überhaupt nicht, während ich auf dieser Veranda saß und zusah, wie die vielen kleinen Kinder zwischen uralten Obstbäumen spielten. Sie waren Kriegskinder, aber ihre Kindheit würde nicht von Erzählungen über Schützengräben überschattet sein. Ich saß Tag für Tag da, sah ihnen zu, lauschte den Kriegsbräuten, die an den beiden Enden der Veranda über ihre Zukunft in Afrika plauderten, und verglich ihre Erwartungen mit dem, was ihnen, meiner Erfahrung nach, bevorstand. Außerdem fragte ich mich, wie es wohl um Gottfrieds Pläne für sein Leben in London bestellt war. Hatte er schon etwas von seinen potenziellen Arbeitgebern gehört, denen er unter Erwähnung der berühmten Lessings, die schon früher in London gelebt und gearbeitet hatten, geschrieben hatte?
    Ich will nun berichten, was mit Gottfried Lessing wirklich passiert ist: Kurz nach meiner Ankunft in London traf auch er ein. Dorothy Schwartz hatte ebenfalls beschlossen, ihr Glück in London zu versuchen. Sie hatte eine Wohnung, und Gottfried kam dort in einem Zimmer unter. Er war fest davon überzeugt, dass die schlimmste Zeit seines Lebens vorbei wäre und er unverzüglich eine gute Stellung in London bekommen würde. Seine Bewerbungen blieben unbeantwortet. Er hielt sich finanziell über Wasser, indem er für die Society for Cultural Relations with the USSR arbeitete. Er wartete. Man kann sich kaum eine Zeit vorstellen, in der es für einen Deutschen und Kommunisten schwerer war, Arbeit in einer respektablen Anwaltskanzlei zu finden. Der Witz ist, dass zehn Jahre später nichts hätte schicker sein können, als einen Deutschen, und obendrein Roten, einzustellen, denn da war der Kommunismus wieder in Mode, und wie immer in vergleichsweise ruhigen, spannungsfreien
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