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Ungleiche Paare

Titel: Ungleiche Paare
Autoren: Dietmar Bittrich
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stieg in das Zimmer mit dem vergitterten Fenster. Dort endeten die heiklen Erkundungen an jener Grenze, hinter der das verheißene Land lag. Und als die Tochter in den Sommerferien mit einer Freundin nach Spanien reiste, und das gleich für vier Wochen, wurde meine Ungeduld zur Qual. Jetzt stieg die Sonne in den Zenith, und die Nächte brachten keine Abkühlung. Deshalbhatte ich Hannah angerufen. Während des Wegs zu ihr versuchte ich, meine Spannung mit schnellem Schritt in den Boden zu stampfen.
     
    »Du bist ganz verschwitzt!«, sagte sie, als sie das Gartentor öffnete. »Willst du duschen?« Sie ging barfuß, aber sie war alles andere als heraus fordernd gekleidet; weiße halblange Sommerjeans und ein dunkelblaues T-Shirt, offen darüber eine kurzärmelige Bluse.
    Zum ersten Mal stand ich im Elternbadezimmer. Es war großflächig verspiegelt und makellos aufgeräumt. Während des Duschens stellte ich mir vor, sie würde hereinkommen. Dann wäre alles einfach. Sie könnte hereinschleichen, sich langsam ausziehen und über den Wannenrand steigen, ins warme Rieseln. Ich verlängerte das Duschen. Wenigstens könnte sie die Tür einen Spalt breit öffnen und hindurchspähen. Ich würde vorgeben, es nicht zu bemerken und allmählich dann doch.
    Sie klopfte nicht einmal. Sie tat nicht das Geringste, was ich hoffen oder befürchten konnte. Sie ließ mich einfach in Ruhe. Ich hatte Zeit, mich vor den beschlagenen Spiegeln abzutrocknen. Von oben, aus der Küche, war ihr Hantieren zu hören. Genauso klang es, wenn ich gerade unten im Nebenzimmer die Tochter streichelte. Wenn wir die Mutter in der Küche hörten, konnten wir uns weiter vorwagen. Sobald die Geräusche oben verstummten, war Vorsicht geboten.
    Jetzt verstummten sie nicht. Ich hatte Zeit, mich anzukleiden. Ich hatte Zeit zu überlegen, ob ich mich geirrt hatte. Ich konnte alles in der Phantasie belassen. Das war ohnehin sicherer.
    Hannah stand in der Küche, als ich, wieder im Polohemd und in unsommerlich langen Jeans, die Treppe nach oben stieg. Sie hatte geviertelte Limonen und Eis in Longdrinkgläser gefüllt und mit Ginger-Ale aufgegossen. Minzeblätter waren auf den Glasrand gesteckt. Das war kultiviert. Das war begehrenswert.
    »Willst du dich auch auf den Balkon legen, oder willst du lieber im Schatten bleiben?«, bot sie an. »Im Haus ist es vielleicht kühler.«
    Der Blick vom Balkon ging über die Elbe. Das Geländer war mit einer Plane aus Segeltuch verhängt gegen Blicke, die allenfalls von den Kapitänsbrücken vorübergleitender Containerschiffe kommen könnten.
    Eine rot-weiße Markise filterte das Licht. Es war früher Nachmittag, die heißeste Zeit und die hellste. Man musste mit der Hand die Augen beschatten, um das jenseitige Ufer zu erkennen. Dort schwebten die Gebäude der Flugzeugwerft in der zitternden Luft, dehnten sich wabernd aus, zogen sich zusammen, schaukelten auf einer dünnen Hitzeschicht wie Rindenstückchen auf dem Wasser, auf und ab, auf und ab.
    »Ach, der Balkon ist in Ordnung«, sagte ich so gleichgültig wie möglich.
    Zwei Strandmatratzen lagen nebeneinander. Ich erkannte sie wieder. Dreiteilig zusammengeklappt und mit Klettbändern verschlossen, waren sie sonst in einer Kammer neben der Küche verstaut. Dann hatte Hannah sich also damit beschäftigt während meines Duschens. Sie hatte eine zweite Matratze geholt. Auf ihrer lag ein Buch.
    »Ich lese«, sagte sie. »Du kannst dir einen Band aus dem Regal holen. Oder die Zeitung. Oder willst du nicht lesen?«
    »Doch, doch!« Bücher waren sicheres Terrain. Das Intellektuelle war bislang die Ebene unserer Begegnung gewesen. Ja, ich würde einfach nur lesen! Damit würde ich den Nachmittag herumkriegen. Ich wanderte die Buchreihen entlang. »Heidegger!«, rief ich, erleichtert über eine derart hehre Fluchtmöglichkeit: »Sein und Zeit . «
    »Interessiert dich das?«
    »Ich glaube schon.« Das Buch hatte, soweit ich von Kommilitonen gehört hatte, einen erhabenen Ruf. Ich blätterte es auf, las den ersten Satz und versuchte den zweiten. Es war klar, dass ich nicht das Geringste verstehen würde. »Das scheint sehr interessant zu sein.«
    »Mir ist das zu hoch. Ich lese bloß einen Krimi.«
    Sie legte sich auf den flachen Bauch, auf die Ellbogen gestützt wie eine Leserin in einer Werbung für entspannende Lektüre. Es war ganz unwahrscheinlich, dass sie bis jetzt auf diese Weise hier gelegen hatte, noch dazu anständig mit einer Bluse, die das T-Shirt verdeckte und die
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