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Ungezaehmte Nacht

Ungezaehmte Nacht

Titel: Ungezaehmte Nacht
Autoren: Christine Feehan
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zusammenzogen, als die Stute mit aller Kraft versuchte, zwischen den herumrollenden Steinen auf den Beinen zu bleiben. Isabellas Finger waren schon fast taub, doch sie umklammerte die Zügel noch fester. Sie durfte auf gar keinen Fall aus dem Sattel fallen! Zu Fuß würde sie die bittere Kälte und die Attacken der Wolfsrudel, die das Gebiet durchstreiften, gewiss nicht überleben. Ihr Pferd bockte steifbeinig und auf allen vieren, und jede Bewegung erschütterte Isabella, bis sogar ihre Zähne von dem Aufeinanderschlagen schmerzten.
    Es war mehr Verzweiflung als Erfahrung, was sie im Sattel festhielt. Der Wind peitschte ihr Gesicht, bis ihre Augen tränten und ihr fest geflochtenes Haar von der Wut des Sturmes zu einem wilden Durcheinander langer, seidiger Strähnen losgerissen wurde. Isabella stieß ihrer Stute die Stiefelspitzen in die Flanken und trieb sie an, um so schnell wie möglich den Gebirgspass hinter sich zu lassen. Der Winter nahte mit großen Schritten und würde noch heftigere Schneefälle mitbringen. Ein paar Tage später hätte sie es nicht mehr durch den schmalen Pass geschafft.
    Fröstelnd und zähneklappernd trieb sie ihr Pferd über den kurvenreichen Pfad. Sowie der Pass hinter ihr lag, fiel der steil aufragende Berg zu ihrer Linken zu einem schmalen, zerbröckelnden und alles andere als stabil aussehenden Vorsprung ab. In der Tiefe unten konnte sie scharfkantige Felsen sehen. Falls ihr Pferd den Halt verlor, würde sie einen Sturz nicht überleben. Isabella zwang sich, ruhig zu bleiben und sich so dicht wie möglich am Berg zu halten, bis ihre Stiefel an dem Fels entlangschrammten. Wieder fielen kleine Steine von oben herab, rollten und hüpften über den schmalen Felsvorsprung, auf dem sie sich befand, und stürzten in den leeren Raum hinab.
    Und da verspürte sie mit einem Mal ein seltsames Gefühl der Desorientierung, als bewegte sich die Erde und verschöbe sich … als wäre irgendetwas, das man besser ruhen ließe, durch ihren Eintritt in das Tal erwacht. Mit frischer Wut riss und zerrte der Wind an ihr, während Eiskristalle ihr das Gesicht und jeden Zentimeter unbedeckter Haut zerstachen. Stoisch ritt Isabella jedoch noch eine Stunde weiter, obwohl der Sturm aus allen Richtungen auf sie einstürmte. Er war heftig, brutal und schien sich ausschließlich auf sie zu konzentrieren. Über ihr ballten sich noch dunklere Wolken zusammen, statt von dem Wind vertrieben und aufgelöst zu werden. Isabellas Hände um die Zügel verkrampften sich zu Fäusten. Es hatte hundert Verzögerungstaktiken gegeben – kleinere Zwischenfälle, Unfälle, das Geräusch von scheußlichen, im Wind murmelnden Stimmen und seltsame, giftige Gerüche. Und natürlich auch das Geheul von Wölfen. Das Schlimmste jedoch war das schaurige, weit entfernte Brüllen eines ihr unbekannten Tieres gewesen.
    Aber sie konnte und würde nicht umkehren. Sie hatte keine andere Wahl, als ihre Reise fortzusetzen. Langsam neigte sie sogar dazu, die beängstigenden Geschichten zu glauben, die über diesen Don erzählt wurden. Er sei geheimnisvoll, unnahbar, düster und gefährlich, hieß es – ein Mann, dem man besser aus dem Weg ging. Manche sagten, er beherrschte sogar den Himmel, und die Tiere darunter gehorchten ihm. Doch wen kümmerte das schon? Sie musste diesen Mann erreichen und sich auf Gedeih oder Verderb seiner Gnade anheimgeben, wenn es nicht anders ging.
    Das Pferd bog um die nächste Kurve, und Isabella verschlug es den Atem. Sie war da! Sie hatte es geschafft. Die Festung war sehr real und keineswegs nur ein Fantasiegebilde. Zum Teil aus Fels, zum Teil aus purem Marmor, ragte sie zwischen den Bergen auf, ein regelrechter Palazzo, geradezu unglaublich groß und weitläufig, soweit sie sehen konnte. Er strahlte jedoch etwas Böses aus in der zunehmenden Abenddämmerung und mit seinen unglaublich vielen Fenstern, die wie leere Augen in den peitschenden Wind hinausstarrten. Das mehrere Stockwerke hohe Gebäude war mit langen Wehrgängen, runden Türmchen und mächtigen Wachtürmen versehen. Isabella konnte große, steinerne Löwen sehen, die die Türme bewachten, und Stein-Harpyien mit rasiermesserscharfen Schnäbeln, die auf den Balken hockten. Leere, aber alles sehende Augen starrten sie aus jeder Richtung an und beobachteten sie still.
    Ihre Stute tänzelte wieder nervös, warf den Kopf zurück und verdrehte furchtsam die großen Augen. Isabellas Herz begann so laut zu pochen, dass es ihr in den Ohren dröhnte. Sie hatte
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