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Über den Fluß und in die Wälder

Über den Fluß und in die Wälder

Titel: Über den Fluß und in die Wälder
Autoren: Ernest Hemingway
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hätte töten müssen. Schließlich wurde er dann doch richtig und endgültig verwundet. Keine seiner anderen Verwundungen hatte ihm je etwas Ähnliches angehabt wie diese erste große. Wahrscheinlich war es einfach der Verlust der Unsterblichkeit, dachte er. Na, irgendwie verliert man ja damit eine ganze Menge.
    Diese Gegend hier bedeutete ihm sehr viel, mehr als er je irgendwem sagen würde und konnte, und jetzt saß er im Auto und war froh, daß sie in einer weiteren halben Stunde in Venedig sein würden. Er nahm zwei Mannitol Hexanitrat-Tabletten, und da er seit 1918 wieder spucken konnte, vermochte er sie ohne Wasser runterzuschlucken und fragte:
    «Wie steht’s, Jackson?»
    «Tadellos, Sir.»
    «Wenn wir auf die Gabelung nach Mestre stoßen, nehmen Sie die äußere Straße links, dann können wir die Boote auf dem Kanal sehen und vermeiden den Hauptverkehr.»
    «Jawohl, Sir», sagte der Fahrer. «Sagen Sie mir doch bitte an der Gabelung noch mal Bescheid.»
    «Schön», sagte der Colonel.
    Sie näherten sich Mestre schnell, und schon war es, als ob man nach New York hineinfuhr, das erste Mal, das man überhaupt dort war, in den guten alten Zeiten, als es ‹glänzend, weiß und wundervoll› war. Das habe ich gestohlen, dachte er. Aber das war vor all dem Rauch. Wir kommen jetzt in meine Stadt, dachte er. Gott, was für eine schone Stadt!
    Sie bogen nach links ab und kamen an dem Kanal entlang, wo die Fischerboote festmachten, und der Colonel sah zu ihnen hinüber, und sein Herz freute sich über die braunen Netze und die Fischreusen aus Weidengeflecht und die klaren, schönen Linien der Boote. Nicht, daß sie etwa malerisch sind. Zum Teufel mit dem Malerischen. Sie sind einfach verdammt schön.
    Sie kamen an der langen Reihe von Booten auf dem trägen Kanal, der Wasser aus der Brenta mit sich führte, vorbei, und er dachte an die weite Strecke der Brenta, an der die großen Landhäuser lagen, mit ihren Rasenflächen und Gärten, ihren Platanen und Zypressen. Da draußen möchte ich gern begraben sein, dachte er. Ich kenne die Gegend genau. Ich glaube aber nicht, daß man das arrangieren könnte. Ich weiß nicht. Ich kenne ein paar Leute, die vielleicht erlauben würden, daß man mich auf ihrem Besitz beerdigt. Ich werde Alberto fragen. Vielleicht hält er das aber für morbide.
    Eine ganze Weile lang dachte er an all die schönen Plätze, wo er gern begraben sein würde, und er überlegte, von welchem Stück Erde er gern ein Teil geworden wäre. Das Stadium des Stinkens und Verwesens dauert ja tatsächlich nicht sehr lange, dachte er, und auf alle Fälle bist du ja nur eine Art Dung, und selbst die Knochen werden schließlich zu etwas gut sein. Ich würde gern weit draußen am Rand der Besitzung begraben sein, aber in Sicht des alten, anmutigen Hauses und der hohen, schlanken Bäume. Ich glaube nicht, daß es ihnen was ausmachen würde. Ich könnte ein Teil des Bodens sein, auf dem die Kinder des Abends spielen, und am Morgen ritt man vielleicht immer noch Springpferde zu, und ihre Hufe würden auf dem Rasen dröhnen, und Forellen würden im Teich aufsteigen, wenn eine Brut Fliegen da war.
    Jetzt waren sie auf dem Damm von Mestre nach Venedig, auf der Höhe der häßlichen Breda-Werke, die auch in Hammond, Indiana, hätten sein können.
    «Was wird da hergestellt, Sir?» fragte Jackson.
    «In Mailand macht die Firma Lokomotiven», sagte der Colonel. «Hier machen sie ein bißchen von allem, was es in der Eisenbranche gibt.»
    Jetzt hatte man eine erbärmliche Ansicht von Venedig; er konnte diesen Damm nie leiden; das einzige war, daß man so schnell fahren und die Bojen und Fahrrinnen sehen konnte.

    «Diese Stadt ist völlig unabhängig», sagte er zu Jackson. «Sie war einmal die Königin der Meere, und die Bewohner sind mit allen Wassern gewaschen, und sie sind ungefähr die härtesten, abgebrühtesten Burschen, denen Sie je begegnen werden. Es ist ein noch heißeres Pflaster als Cheyenne, wenn man’s wirklich kennt, und jedermann ist äußerst höflich.»
    «Ich würde nicht sagen, daß Cheyenne ein heißes Pflaster ist, Sir.»
    «Na, verflucht noch mal, es ist ein heißeres Pflaster als Casper.»
    «Halten Sie das für ‘n heißes Pflaster, Sir?»
    «Es ist eine Ölstadt. Es ist eine nette Stadt.»
    «Aber es ist doch kein heißes Pflaster, Sir, war’s auch niemals.»
    «Okay, Jackson. Vielleicht bewegen wir uns in verschiedenen Kreisen. Oder vielleicht verstehen wir nicht dasselbe unter diesem Wort.
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