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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen
Autoren: Joyce Carol Oates
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Mutter und die Liebe, die seine Mutter ihm entgegenbrachte, über seine Verehrung für die Heilige Schrift.
    Ohne dieses umsichtig aufgebaute Image, das Louis’ «tiefgekühltes» Auftreten in der Öffentlichkeit erklärt, hätte man Joe Louis wahrscheinlich nur als «Schattenchampion» in Erinnerung, so wie Peter Jackson und Harry Wills, legendäre schwarze Boxer, denen die Champions John L. Sullivan und Jack Dempsey geschickt aus dem Weg gegangen waren.
    Auch Schmelings dynamischer Manager Joe Jacobs kümmerte sich darum, dass seine Boxer ein anständiges, markttaugliches Image hatten. Er war rauflustig, fröhlich, erfinderisch und mutig (oder leichtsinnig) genug, einen seiner Boxer nach Georgia zu begleiten, wo Jacobs vom Ku-Klux-Klan bedroht wurde. Der antisemitische Kolumnist Westbrook Pegler nannte ihn «einen New Yorker Gehsteigjungen, der sein Judentum sehr aufdringlich zur Schau stellt», aber in Boxerkreisen hieß er «Yussel the Muscle». In einer Zeit, in der jüdische Aktivisten deutsche Erzeugnisse und Personen wie Max Schmeling zu boykottieren versuchten, wurde Jacobs zu einem scheinbaren Verteidiger Nazideutschlands: «Die meisten Schwierigkeiten, die die Juden da drüben haben, werden verursacht von den Juden hierzulande.» Es kam zu einer komisch-albtraumhaften Szene wie aus einem Woody-Allen-Film, als der gewiefte New Yorker Jude 1935 in Hamburg nach einem Sieg Schmelings plötzlich von diesem in den Ring gehoben wurde und fünfundzwanzigtausend begeisterte Deutsche die Nationalhymne sangen, wobei sie den Arm zum Hitlergruß hoben: «Jacobs [war] zunächst unsicher gewesen, wie er sich verhalten sollte. Doch alle grüßten mit erhobenem Arm, und er stand mittendrin; was hätte er tun sollen? Also streckte auch er seine Rechte in die Höhe, wobei aber die unvermeidliche Zigarre noch zwischen den Fingern steckte … Schmelings Arm war fest und entschlossen hochgereckt, während Jacobs’ Arm etwas schlaff wirkte, als wolle er ein Taxi herbeiwinken.»
    Joe Jacobs starb 1940 mit zweiundvierzig Jahren an einem Herzinfarkt, kurz nachdem sein Starboxer das Boxen aufgegeben hatte und als Fallschirmjäger zur Wehrmacht eingezogen worden war.
    Die Zeit, die ein Boxer tatsächlich mit Kämpfen zubringt, ist verschwindend gering, verglichen mit der langwierigen Vorbereitung, dem Training, «den Intrigen und dem Politisieren», wie es Margolick eingehend beschreibt, und so nehmen auch in «Max Schmeling und Joe Louis» die eigentlichen Kämpfe nur einen ganz kleinen Teil des Textes in Anspruch. Die meisten Kapitel sind unpersönliche, aus zahllosen Quellen ausgewählte historische Berichte, in denen sich die Stimme des Autors dem Material unterordnet. Zwischen den vielen Zusammenfassungen sorgen zeitgenössische Zeitungsartikel, manche davon unerträglich rassistisch, für Freimut und Farbe; gelegentlich kommt es zu komisch-surrealistischen Ausbrüchen wie in diesem rasanten Stimmungsbild unmittelbar nach dem dramatischen Ende des Kampfes 1938:
    Im Stadion war die Hölle los. Tallulah Bankhead sprang auf und wandte sich zu einigen Fans von Schmeling, die hinter ihr saßen. «Ich hab’s euch doch gesagt, ihr Hurensöhne!», kreischte sie. Weiße und Schwarze fielen sich in die Arme. «Die glücklichsten Menschen, die ich bei diesem Kampf gesehen habe, waren nicht die Neger, sondern die Juden», berichtete ein schwarzer Journalist. «In der Sitzreihe vor mir saß eine große Gruppe von Juden – für sie war es der schönste Augenblick ihres Lebens» … «Prügelt diesem verdammten deutschen Bastard die Seele aus dem Leib!», rief W . E . B. Du Bois in Atlanta schadenfroh aus. Du Bois war sein Leben lang den Deutschen wohlgesinnt gewesen und fluchte nur selten. In Hollywood hüpfte Bette Davis auf und ab; sie hatte beim Warner-Brothers-Wettspiel sechsundsechzig Dollar gewonnen … «Alles lachte und tanzte», berichtete Woody Guthrie aus Santa Fe. «Ich habe Leute lachen, umherlaufen, singen und tanzen gesehen. Ich habe Hochrufe auf Joe Louis und ‹Zur Hölle mit Schmeling!› in Indianerdialekten, auf Mexikanisch, auf Spanisch und in vielen anderen weißen Sprachen gehört.»
    (Das ist Geschichte als groteske Volkskunst, wie ein Wandbild von Thomas Hart Benton 4 .)
    «Max Schmeling und Joe Louis» bietet einen ehrgeizigen Extrakt aus Fakten und einen wahren Orkan von Meinungen, doch es fehlt die Perspektive des Autors: Was hält David Margolick von dem Phänomen Louis-Schmeling? Sind auch in unserer
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