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Über Boxen

Über Boxen

Titel: Über Boxen
Autoren: Joyce Carol Oates
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Mönch oder die Nonne, die aufgrund eines fanatischen Willensaktes nur noch Gott sehen.
    Ist diese absolute Unterwerfung des Selbst Irrsinn oder Disziplin? Auf jeden Fall brachte sie Marciano den gewünschten Erfolg.
    Tommy Hearns war heiß, und ich konnte es ihm geben .
    Marvin Hagler
    Kein Sport ist körperlicher, direkter als Boxen. Kein Sport hat eine so starke homoerotische Ausstrahlung: die Konfrontation im Ring – die Entkleidung – der schweißüberströmt-hitzige Kampf, der Tanz, Werbung, Vereinigung, alles in einem ist – die wiederholte, heftige Verfolgung des anderen durch den Ring, die der Kampf, der auf ein K . o. zielt, natürlicherweise mit sich bringt: Diese Mimikry einer erotischen Spielart, in der ein Mann den anderen in einer Zurschaustellung überlegener Stärke und Willenskraft überwältigt, trägt sicherlich sehr zur Attraktivität dieses Kampfsports bei. Die feierlich verkündete Keuschheit des Boxers, der sich auf einen Kampf vorbereitet, gehört zur Folklore des Boxens: Statt seine Energien und Fantasien auf eine Frau zu konzentrieren, richtet er sie auf einen Gegner. Wo «Frau» war, muss «Gegner» sein.
    Wie Alis Bundini Brown 12 einmal sagte: «Du musst hart werden, und du musst es bleiben. Du darfst nicht abschlaffen, und du darfst nicht kommen.»
    Wie immer sie auch abgelaufen sind, die meisten Kämpfe enden mit einer Umarmung der Boxer nach dem letzten Gongschlag – einer Geste gegenseitiger Achtung und Zuneigung, wie es scheint, und auf die Zuschauer zumindest wirkt sie nicht rein mechanisch. Rocky Graziano pflegte seinen Gegner manchmal zu küssen – aus Dankbarkeit für den Kampf. Man kann sich fragen, ob der Boxkampf unweigerlich darauf hinausläuft: auf diese öffentliche Umarmung zweier Männer, die sich anderweitig, öffentlich oder privat, mit einer solchen Leidenschaft nie begegnen dürften. Da viele Männer lautstark ihre Verachtung für Schwäche zeigen (so als hätten sie es nötig, sich zu distanzieren, wenn zum Beispiel bei einem Kampf einer oder beide Boxer nicht wirklich kämpfen wollen), ist es für eine Frau immer wieder überaus erstaunlich, welche Bewunderung, manchmal sogar Ehrfurcht ein Mann für einen Boxer aufbringt, der einen Kampf verloren, aber außerordentlichen Mut gezeigt hat. Männer äußern Mitgefühl verletzten Boxern gegenüber, auch wenn sie nur Fotos entsprechend kommentieren: das Bild Ray Mancinis nach seiner zweiten Niederlage gegen Livingstone Bramble zum Beispiel, auf dem Mancinis Gesicht erschreckend entstellt ist (die blutigen, ans Pornografische grenzenden Fotos erschienen in allen Zeitungen); oder das allbekannte Foto des geschlagenen Thomas Hearns, der von einem riesigen Schwarzen (vermutlich einem Leibwächter) feierlich in seine Ecke getragen wird – Hearns, der «Geschlagene», hilflos, halb bewusstlos, ein schwarzer Christus, der vom Kreuz abgenommen wird. Es sind machtvolle, bewegende, beunruhigende Bilder, schön in ihrer Grausamkeit, unlösbar verbunden mit der Attraktivität des Boxens, die etwas Ursprüngliches berührt.
    So scheitert der Einwand, dass der Mensch seinen Mitmenschen vielleicht auch ohne den Umweg über die gewalttätigen Rituale des Wettkampfs lieben könne, daran, dass er die größte menschliche Leidenschaft außer Acht lässt – die Faszination durch den Krieg, nicht die Liebe zum Frieden. Liebe steht, wenn überhaupt, an zweiter Stelle.
    Ich weiß, dass ich nicht schlecht bin. Ich gebe mein Bestes für etwas, was mir wichtig ist. Ich liebe es zu boxen. Ich träume davon, ein Boxer zu sein. Ich sehe mich schon, wie ich den Titel gewinne. Welchen, ist egal. Ich sehe, wie man mich auf die Schultern hebt, herumträgt, wie ich meinen Gürtel bekomme. Manchmal sehe ich das alles wie in Zeitlupe …
    Ein vierunddreißigjähriger Weltergewichtsboxer, der fast alle Kämpfe, in denen er antrat, verloren hat, meist durch K . o.
    «Fallobst», wie es in Boxerkreisen heißt, ist ein Boxer, der verliert, und zwar zuverlässig. Stellt man ihn einem jüngeren, vielversprechenden Boxer gegenüber, der protegiert wird, liefert er einen anständigen Kampf, das heißt, er wird nicht sofort zu Boden gehen, und er wird auf keinen Fall dem Ruf des anderen Boxers schaden. Vielleicht träumt er davon, einen «Titel» zu gewinnen, aber sein Wert liegt darin, einen anderen aufzubauen (man könnte sagen, künstlich aufzubauen). Er ist unbekannt – er kann viele Namen haben, er steht für viele. Seine Karriere ist von
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