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Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)

Titel: Trinken Sie Essig, meine Herren: Werksausgabe Band 1, Prosa (German Edition)
Autoren: Daniil Charms
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Stalin-Terrors verhaftet und im Februar 1940 erschossen.
     
     
    Es war einmal ein Mann, der hieß Kusnezow. Eines Tages ging ihm ein Küchenschemel entzwei. Kusnezow verließ das Haus und ging zu einem Geschäft, Holzleim kaufen, um den Schemel zu reparieren.
    Als Kusnezow an einem nicht fertig gebauten Haus vorbeikam, fiel von oben ein Ziegel herab und traf ihn am Kopf. Kusnezow fiel hin, sprang aber sofort wieder auf die Füße und betastete seinen Kopf. Am Kopf war Kusnezow eine Mordsbeule gewachsen.
    Kusnezow strich sich mit der Hand über die Beule und sagte: »Ich, der Bürger Kusnezow, bin aus dem Haus gegangen, zu einem Geschäft, um … um dort … um dort … Auwei, was ist jetzt los! Ich hab vollkommen vergessen, warum ich zu dem Geschäft unterwegs war.«
    In dem Moment fiel ein zweiter Ziegel vom Dach und traf Kusnezow wieder am Kopf.
    »Autsch!«, schrie Kusnezow, fasste sich an den Kopf und betastete die zweite Beule.
    »Das ist vielleicht eine Geschichte!«, sagte Kusnezow. »Ich, der Bürger Kusnezow, bin aus dem Haus gegangen und … woll te … wollte … wo wollte ich denn hin? Ich habe vergessen, wohin ich wollte!«
    Da fiel ein dritter Ziegel von oben herab auf Kusnezow. Und auf seinem Kopf spross eine dritte Beule. »Au, au, au!«, schrie Kusnezow auf, sich an den Kopf fassend.
    »Ich, der Bürger Kusnezow, bin … aus einem … aus einem … aus einem Keller gekommen? Nein. Aus einem Fass? Nein! Wo bin ich bloß hergekommen?«
    Vom Dach fiel ein vierter Ziegel, traf Kusnezow im Nacken, und schon spross die vierte Beule.
    »Na so was!«, sagte Kusnezow, sich den Nacken kratzend.
    »Ich … ich … ich … Wer bin ich eigentlich? Habe ich womöglich vergessen, wie ich heiße? Das ist vielleicht eine Geschichte! Wie heiße ich bloß? Wassili Petuchow? Nein. Nikolai Sapogow? Nein. Pantelej Ryssakow? Nein. Wer bin ich denn eigentlich?«
    Doch da fiel der fünfte Ziegel vom Dach und traf Kusnezow so hart im Nacken, dass er endgültig alles auf der Welt vergaß, laut »O weh, o weh!« rief und die Straße hinunterrannte.
    –––––––––– ––
    Bitte! Falls Sie auf der Straße einem Mann mit fünf Beulen am Kopf begegnen, dann erinnern Sie ihn daran, dass er Kusnezow heißt und dass er Holzleim kaufen und den kaputten Küchenschemel reparieren muss.
    1. November 1935

[Menü]
Neue Anatomie
    Einem kleinen Mädchen wuchsen zwei himmelblaue Schleifen auf der Nase. Ein äußerst seltener Fall, zumal auf der einen Schleife das Wort »Mars« stand und auf der anderen »Jupiter«.
    1935
     
     
    Kulakow setzte sich in einen tiefen Sessel und schlief auf der
    Stelle im Sitzen ein. Er schlief im Sitzen ein, und ein paar Stunden später erwachte er in einem Sarg liegend. Kulakow begriff sofort, dass er in einem Sarg lag. Wahnsinnige Angst lähmte Kulakow. Mit trüben Augen sah er sich um, und wohin er auch den Blick richtete, sah er nur Blumen: Blumen in Körben, Blumensträuße, von Schleifen zusammengehalten, Blumenkränze und einzelne Blumen.
    »Sie begraben mich«, dachte Kulakow entsetzt und empfand plötzlich Stolz darüber, dass man ihn, einen so unbedeutenden Menschen, so pompös, mit so vielen Blumen begrub.
     
    <1936>

[Menü]
Fabel
    Ein kleiner Mann sagte: »Ich würde alles dafür geben, wenn ich nur eine Idee größer wäre.
    « Kaum hatte er das ausgesprochen, stand vor ihm eine Pfee.
    »Was wünschst du dir?«, fragte die Pfee.
    Aber der kleine Mann stand da und brachte vor Angst kein Wort heraus.
    »Na los!«, sagte die Pfee.
    Aber der kleine Mann stand da und schwieg.
    Die Pfee entschwebte.
    Da brach der kleine Mann in Tränen aus und begann an seinen Nägeln zu kauen. Zuerst knabberte er sich alle Fingernägel ab, und dann waren die Fußnägel dran.
    Lieber Leser, denk dich in diese Fabel hinein und dir wird schwindlig.
     
    <1935>
     
    »Wissen Sie«, sagte er, »ich habe gesehen, wie Sie vorgestern mit denen Boot gefahren sind. Einer saß am Steuer, zwei ruderten, und der Vierte saß neben Ihnen und sprach. Ich stand lange am Ufer und sah, wie die beiden ruderten. Ja, ich kann kühn behaupten, dass die vorhatten, Sie zu ertränken. So rudert man nur vor einem Mord.«
    Die Dame mit den gelben Handschuhen sah Klopow an. »Wie kommen Sie denn darauf?«, sagte sie. »Rudert man anders vor einem Mord? Und außerdem, was hätten die davon gehabt, mich zu ertränken?«
    Klopow wandte sich der Dame abrupt zu und sagte: »Wissen Sie, was ein kupferner Blick ist?«
    »Nein«, sagte
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