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Totenstimmung

Totenstimmung

Titel: Totenstimmung
Autoren: Arnold Kuesters
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Ästhetik und der Alltagskunst. Also, was denken Sie?«
    Während Ecki scheinbar unbeteiligt die Einrichtung musterte, trat Frank einen Schritt auf Jennes zu. »Was haben Sie in dem Keller erlebt, Hendrik?«
    Hendrik Jennes wich einen Schritt zurück und stieß mit dem Rücken an seine Werkbank. Er stützte sich auf der Arbeitsplatte ab. Seine Finger krallten sich um die Kante.
    Frank sah, dass Jennes’ Fingerknöchel weiß wurden.
    »Sie waren damals ein Kind. Was ist passiert?«
    Jennes’ Augen flackerten, aber er sagte nichts.
    »Es war dunkel dort unten. Sie hatten Angst. Kinder haben im Dunkeln Angst.«
    »Wer …?« Jeder Laut rieb an Jennes’ Stimmbändern und machte sie dabei noch ein Stück dünner.
    »Haben Sie Ihren Vater geliebt? Oder haben Sie ihn nur gehasst?«
    »Hören Sie auf.« Es war nicht mehr als ein Zischen.
    »Warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Sie Mundharmonika spielen? Wir können zusammen musizieren, wenn Sie wollen.«
    »Hören Sie auf!«
    Aber Frank war erst am Anfang. »Waren Sie glücklich, wenn Sie mit Ihrem Vater und den Nachbarn im Garten sitzen und zuhören konnten? Wenn Ihr Vater Volkslieder spielte und die andern dazu gesungen haben. Waren Sie glücklich, Hendrik Jennes? Haben Sie Ihre Mutter angesehen und waren ein glückliches Kind?«
    Jennes rückte nahezu unmerklich ein Stück zur Seite. Ecki wusste zunächst nicht, was Jennes vorhatte. Dann entdeckte er den Schraubenzieher.
    »Lassen Sie den Schraubenzieher liegen.«
    Seine Bewegung fror ein, von der Hand über den Arm breitete sich die Starre über Jennes’ Körper aus.
    Frank wollte nicht nachlassen. Er wusste, dass er auf dem richtigen Weg war. »Sie müssen sehr gelitten haben. Es muss Sie fast verrückt gemacht haben, dass Ihre Mutter Sie nicht beschützt hat. Der Widerspruch muss Sie schier umgebracht haben: Ihre geliebte Mutter verschließt die Augen vor den Qualen, die Ihnen Ihr Vater zufügt. Sie haben Ihren Vater gehasst und geliebt. Das hat Sie krank gemacht.«
    »Hören Sie auf. Bitte.« Jennes winselte.
    »Nur die Musik hat Ihnen geholfen. Sie konnten in die Welt der Klassik flüchten. In ihr war alles heil. Sie haben in ihr die Vollkommenheit gefunden, die Ihre Eltern in Ihnen zerstört hatten. Nur mit der Musik haben Sie sich stark gefühlt. Die Arien, die Klavierstücke, die Sinfonien geben Ihnen die Kraft zurück, die Ihnen Ihre Eltern geraubt haben.«
    Hendrik Jennes war fahl im Gesicht. Er schwieg, aber Frank konnte sehen, dass es in ihm arbeitete. Seine Mundwinkel zuckten. Er ließ die Arbeitsplatte los und rieb sich über sein Gesicht, dabei stöhnte er. Dann stützte er sich erneut auf der Arbeitsplatte ab. Seine Augen waren verquollen, die Haare standen wirr von seinem Kopf ab.
    Jennes’ Brustkorb hob und senkte sich wie bei jemandem, der keine Luft mehr bekommt. Dann sah er Frank an. »Was wollen Sie von mir? Wer hat Ihnen den ganzen Unsinn eingeredet? Von wegen ›gestörte‹ Kindheit!?« Er lachte auf.
    »Wir sind sicher, dass Sie für die Morde verantwortlich sind. Ihre Motive liegen in Ihrer Vergangenheit, Jennes. Wir werden Ihnen die Taten nachweisen.« Ecki verstaute sein Notizbuch. Er hatte genug gehört.
    »Sie wissen nichts! Sie wissen gar nichts!«
    »Gertrud ist mit den Nerven völlig am Ende.« Lisa gab Frank einen Kuss.
    Frank nahm sie in den Arm. »Bitte, halte mich fest.«
    »Was ist los, Bulle?«, flüsterte sie zärtlich in Franks Ohr und versuchte, ihn in ihre Küche zu ziehen. »Komm rein und setz dich, ich habe für uns gekocht.«
    Frank nahm erst jetzt den Geruch wahr. »Lachs?«
    »Lachs.« Lisa ließ Frank los. »Ich habe uns einen Weißburgunder aufgezogen. Wir essen erst, und dann reden wir. Möchtest du Musik zum Essen?«
    Frank betrachtete den liebevoll gedeckten Tisch mit den brennenden Kerzen. »Hast du noch die CD mit dem Cello?«
    Lisa nickte und strich Frank zärtlich über das Gesicht. »Du brauchst den CD -Player nur noch zu starten.«
    Frank erzählte Lisa von ihrem Besuch bei Jennes; dass er dabei Violas Vorschlag gefolgt war, verschwieg er aber. Dann erkundigte er sich nach Gertrud.
    »Sie hält es allein zu Hause nicht mehr aus. Sie hat ihre Schwester angerufen. Marlies kommt morgen aus dem Allgäu.«
    »Marlies?«
    »Du hast sie im vergangenen Jahr auf Heinis Geburtstag getroffen. Sie arbeitet in Kempten an der Hochschule.«
    Frank nickte. »Ich erinnere mich.«
    »Gertrud will Flugblätter drucken lassen und in der Stadt verteilen.«
    »Ich kann ja
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