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Totensonntag

Totensonntag

Titel: Totensonntag
Autoren: Wolfram Jürgen; Tewes Reitemeier
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doch das hinderte Schwiete nicht daran, sich zu duschen, einen Anzug und ein frisch gebügeltes Hemd anzuziehen. Für ihn war es undenkbar, die Wohnung im Trainingsanzug oder in legerer Freizeitkleidung zu verlassen, wenn er eingeladen war, und sei es auch nur bei seiner Vermieterin.
    Herbert Höveken, der Nachbar und Besitzer eines Beerdigungsinstitutes, war schon da, als Schwiete die Küche betrat, die so etwas wie das Kommunikationszentrum des Ükernviertels war.
    Schwiete wunderte sich, dass der große Esstisch tatsächlich nur für drei Personen gedeckt war. Das war für Hilde Auffenbergs Verhältnisse eine wirklich überschaubare Gästezahl. Zwar hatte sie ihm morgens schon diese kleine Runde angekündigt, doch Schwiete wusste, dass der Tag lang war und seine Hauswirtin eine umtriebige Person. Da konnten innerhalb von ein paar Stunden schnell drei bis vier Personen dazukommen.
    Vielleicht traute sich ja aufgrund des Sauwetters niemand auf die Straße, und so hatte es seiner Hauswirtin an Möglichkeiten gemangelt, weitere Gäste und Nachbarn einzuladen.
    Hilde Auffenberg und Herbert Höveken waren schon seit Urzeiten Nachbarn. Und seit Schwiete hier wohnte, konnte er sich kaum an einen Tag erinnern, an dem Höveken nicht in Hilde Auffenbergs Küche gesessen hatte. Schon als er den Beerdigungsunternehmer zum ersten Mal gesehen hatte, war sein Eindruck gewesen, dass der Mann in seine Hauswirtin verliebt war. Bei diesem Verdacht war es die ganzen Jahre über geblieben. Die beiden, Hilde Auffenberg und Herbert Höveken, begegneten sich täglich, sie gestalteten gemeinsam ihre Freizeit, aber aus ihnen war bis heute kein Liebespaar geworden. Wahrscheinlich sehr zum Leidwesen von Höveken.
    Als Schwiete die Küche betrat, unterbrach Hilde Auffenberg ihre Arbeiten am Herd. Sie begrüßte ihn freundlich, holte eine Flasche Wein aus dem Kühlschrank und bat Höveken, sie zu öffnen. Kurze Zeit später waren die Gläser und Teller gefüllt, und die drei ließen es sich schmecken. Es gab dicke Bohnen in einer Schnittlauchrahmsoße, grobe Bratwurst und Bratkartoffeln und zum Nachtisch Schokoladenpudding.
    Die Zeit verstrich. Sie plauderten über dies und das. Eine weitere Flasche Wein wurde aus dem Kühlschrank geholt. Es herrschte eine angenehme Stimmung.
    »Ein Abend mit netten Leuten ist doch das Beste gegen eine Novemberdepression«, bemerkte Hilde Auffenberg und hob ihr Glas. Doch ihre kleine Ansprache wurde von einem dumpfen Dröhnen unterbrochen. Die Fensterscheiben vibrierten von einer Druckwelle. Selbst das Geschirr auf dem Küchentisch schepperte kurz. Was war das? Eine Explosion?
    Schwiete trat ans Fenster und blickte hinaus.
    Es hatte aufgehört zu regnen.

3
    »Dieser verdammte Job!«, brummte Johnny Winter an diesem Abend schon zum wiederholten Male, obwohl ihm auch diesmal niemand zuhörte. Es war kurz nach zehn am Sonntagabend, und anstatt gemütlich in seiner Stammkneipe im Ükernviertel zu sitzen, verplemperte er nun wertvolle Lebenszeit damit, in seinem Taxi auf Fahrgäste zu warten. Dabei hatte er keine Zeit zu verschenken, fand er. Er war Mitte vierzig, im allerbesten Mannesalter. Und eigentlich war er auch kein Taxifahrer, sondern Musiker. Okay, seine kühnen Rockstarträume hatten sich in den vergangenen zwanzig Jahren nicht realisieren lassen, aber das musste ja nicht zwingend bedeuten, dass dies für alle Zeiten so bleiben würde. Er, der Gitarrist, hatte es drauf, davon war er zutiefst überzeugt. Er war aus demselben einzigartigen Holz geschnitzt wie seine großen Idole Clapton, Richards, van Halen und wie sie alle hießen. Nur hatte dies bislang noch niemand erkannt.
    Aber von irgendwas muss der Mensch ja leben und seine Miete bezahlen. Vor allem die Miete war die Ursache dafür gewesen, dass er nun in Nachtschichten Taxi fuhr. Hilde Auffenberg, seine mütterliche Vermieterin, hatte ihn gedrängt, den Taxischein zu machen, und ihm auch diesen Job besorgt. Sie würde ihn ungern vor die Tür setzen, hatte sie gesagt, aber sie könne es sich auch nicht leisten, auf die Mieteinnahmen zu verzichten. Dabei hätte sie doch einfach ihrem anderen Mieter, diesem langweiligen Bullen Horst Schwiete, etwas mehr abknöpfen können, fand Winter. Der hatte doch ein gutes und festes Beamtengehalt.
    Er schaltete den Scheibenwischer ein, um draußen etwas sehen zu können. Verärgert schaute er sich auf dem regennassen Vorplatz des Paderborner Hauptbahnhofes um. In den letzten Jahren hatte man den gesamten Bereich
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