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Tödliche Gier

Tödliche Gier

Titel: Tödliche Gier
Autoren: Sue Grafton
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Ruth.«
    Ich warf die Liste in den Papierkorb und rief bei Crystal Purcell in ihrem Haus in Horton Ravine an. Die Haushälterin sagte mir, dass sie zum Strandhaus gefahren sei und das Wochenende dort verbringen wolle. Sie gab mir die Nummer, und ich wählte sie, sowie ich aufgelegt hatte. Ich hoffte, die Frau, die abnahm, würde Crystal sein, doch als ich sie namentlich zu sprechen verlangte, musste ich warten, bis sich eine zweite Frau meldete. »Hier ist Crystal«, sagte sie.
    Ich stellte mich mit Namen und Beruf vor und hoffte, dass sie das Auftreten einer weiteren Person, die Nachforschungen anstellte, nicht verärgerte. Den Zeitungen zufolge hatte sie bereits den Ermittlern von der Polizei Santa Teresa und vom Sheriffbüro von Santa Teresa County Auskunft gegeben. Ich erklärte ihr, dass ich am Morgen mit Fiona gesprochen und sie mich gebeten hätte, Dr. Purcells Verschwinden zu untersuchen. »Ich weiß, dass Sie alles schon mehrmals schildern mussten, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich die Geschichte von Ihnen hören könnte, falls Sie es verkraften, sie noch einmal zu erzählen.«
    Es entstand eine kurze Pause, in der ich hätte schwören können, dass sie ihre Zen-Tiefenatmung praktizierte. »Es fällt mir sehr schwer.«
    »Das ist mir klar, und es tut mir Leid.«
    »Wie bald?«
    »Das überlasse ich Ihnen. Je früher, desto besser.«
    Eine weitere Pause folgte. »Wie viel berechnen Sie ihr?«
    »Fiona? Fünfzig die Stunde. Das liegt am unteren Ende der Skala. Ein Privatdetektiv aus der Großstadt bekommt das Doppelte.« Ich fragte mich kurz, warum ich glaubte, mich rechtfertigen zu müssen. Vielleicht würde sie lieber mit jemandem plaudern, dessen Dienste mehr wert waren.
    »Kommen Sie um fünf Uhr vorbei. Ich wohne in der Paloma Lane.« Sie nannte mir die Hausnummer. »Wissen Sie, wo das ist?«
    »Ich finde es schon. Ich werde versuchen, Sie nicht allzu lange aufzuhalten.«
    »Nehmen Sie sich ruhig Zeit. Fiona bezahlt es ja.«
    Um vier Uhr verließ ich das Büro und fuhr auf dem Weg zu Crystals Strandhaus an meiner Wohnung vorbei. Die zunehmende Wolkendecke hatte ein künstliches Zwielicht erzeugt, und der Geruch aufkommenden Regens durchdrang die Luft. Ich hatte im Obergeschoss Fenster offen gelassen und wollte die Wohnung vor dem drohenden Gewitter noch dicht machen. Ich parkte den Wagen vor der Tür, stieß das Tor mit seinem beruhigenden Jaulen und Quietschen auf und marschierte auf dem schmalen Betonweg um das Haupthaus herum.
    Mein Domizil ist eine ehemalige Einzelgarage, die zu Wohnzwecken umgebaut worden ist. Es umfasst im Erdgeschoss ein kleines Wohnzimmer mit einer Bettcouch für Gäste im Erkerfenster, einen Einbauschreibtisch, eine Kochecke, eine aufeinander gestellte Kombination aus Waschmaschine und Trockner und ein Badezimmer. Im ersten Stock, der über eine enge Wendeltreppe erreichbar ist, habe ich einen Schlafraum mit einem großen, flachen Bett und ein zweites Badezimmer. Das Ganze ähnelt einem kleinen, aber robusten seetüchtigen Boot, da außerdem ein Bullauge in der Eingangstür, mit Teakholz getäfelte Wände und unzählige Ecken und Winkel, Verschläge und Nischen dazugehören, wo ich meine wenigen Habseligkeiten unterbringen kann. Das Beste daran ist allerdings die gute Seele, die all das möglich macht: mein Vermieter Henry Pitts. Er ist sechsundachtzig Jahre alt, sieht gut aus, ist sparsam, energisch und tüchtig. Er hat den größten Teil seines Lebens als professioneller Bäcker verbracht und bringt es auch im Ruhestand nicht fertig, seine Begeisterung für Brote, Kuchen und Torten aufzugeben. Er erzeugt nicht nur Backwaren am laufenden Band, sondern beliefert auch die Mittags- und Abendeinladungen sämtlicher alter Damen in der Umgebung. Außerdem verkauft er seine frischen Brote und Brötchen an das rustikale Lokal an der Ecke, in dem er drei bis vier Mal die Woche isst.
    Am oberen Ende der Einfahrt konnte ich Henrys Garagentür offen stehen sehen. Allerdings waren beide Fahrzeuge da. Als ich im Innenhof um die Ecke bog, entdeckte ich ihn, wie er vor seinem Schlafzimmer auf der Leiter stand und gerade das letzte Sturmfenster befestigte. Er trug Shorts und ein ärmelloses T-Shirt. Seine langen Beine wirkten knorrig, und seine Bräune war nun, da der »Winter« ins Land zog, fast verblichen. Die Temperaturen in Santa Teresa fallen nie weit unter zehn Grad, aber er stammt ursprünglich aus Michigan, und auch wenn er schon seit über vierzig Jahren in Südkalifornien lebt,
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