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Töchter des Schweigens

Töchter des Schweigens

Titel: Töchter des Schweigens
Autoren: barcelo
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Welt, Barbra Streisand und Robert Redford in So wie wir waren waren das Paar der Stunde, Marga begann, mit Manolo auszugehen, die SLA entführte Patricia Hearst, in Portugal fand die »Nelkenrevolution« statt, Cruyff schoss Tore für den FC Barcelona, trotz Protesten aus aller Welt wurde Salvador Puig Antich hingerichtet, Leben und sterben lassen kam ohne Sean Connery und mit Roger Moore in die Kinos, Marga und Candela küssten sich im verwaisten Schulhof, Golda Meir trat als israelische Ministerpräsidentin zurück, Francos Enkelin Mariola heiratete Rafael Ardid, Neil Young sang Heart of Gold, die Clique vom 28sten legte ihr Abitur ab, Mati ertrank im Mittelmeer, und ihre Knochen liegen wohl noch auf dem Grund des Meeres, immer weißer, immer blanker.
    Wichtige Ereignisse für die jeweiligen Protagonisten mit teils bedeutenden Auswirkungen auf das gesamte Land, sogar auf die ganze Welt. Und wen interessiert das jetzt noch? Wer erinnert sich heute, Jahrzehnte später, an die Freude und den Stolz und den Schmerz und die Hoffnung in allem, was in jenem Schuljahr geschah?
    Ich erinnere mich. Aber ich erinnere mich auf meine Art, denn die Zeit trübt das Gedächtnis, fügt Nebensächliches hinzu, winzige Details, die alle Taten entschuldigen, so unentschuldbar sie damals auch waren.
    Wir haben nie darüber gesprochen.
    Die Clique vom 28sten, oder das, was davon noch übrig ist, trifft sich weiterhin, isst Tapas, redet gut oder schlecht von ihren Männern und Kindern, vom Job, von ihren bescheidenen Plänen für eine Zukunft, die am Horizont zusammengeschrumpft ist und nichts mehr mit dem zu tun hat, was sie sich einst erträumt haben. Aber das haben sie längst vergessen. Oder vielleicht wissen sie es doch noch und weigern sich, wie Candela, darüber zu reden, damit die anderen nichts von ihrer Frustration, von ihren verdorrten Träumen erfahren …
     
    Mehr Seiten gab es nicht. Gerardo schaute auch auf die Rückseite sämtlicher Bögen, um sicherzugehen, dass er nichts übersehen hatte, und legte sie seufzend zur Seite. Zu schade! Er hätte diesen Roman gern weitergelesen; in allen Einzelheiten gewusst, was vorgefallen war, und wie diese Mädchen, die nur ein paar Jahre älter waren als er, fühlten und dachten; die Welt von 1974, an die er sich kaum erinnerte, durch Candelas Worte wiedererstehen lassen. Aber sie hatte ihm nur einen Blick durch einen kleinen Spalt gewährt, und damit musste er sich begnügen. Wenigstens konnten sie den Fall jetzt ruhigen Gewissens zu den Akten legen, da sich damit alles zufriedenstellend geklärt hatte, außer für sie, die arme Frau, deren Tage gezählt waren.
    Einen Augenblick lang wunderte er sich über diesen Anflug von Mitleid mit einer geständigen Mörderin, war andererseits aber auch froh, dass ihn die Jahre im Polizeidienst noch nicht völlig gefühllos gemacht hatten.
    Er schaute auf die Uhr, ließ die Papiere auf dem Tisch liegen, damit auch David sie lesen konnte, griff nach seiner Jacke und ging, hoch befriedigt von diesem Ergebnis, nach Hause.
    Fall gelöst. Ein Bierchen, ein paar Salzmandeln, ein gutes Abendessen im Familienkreis und ab ins Bett.
     

2007
     
    Es war drei Uhr morgens, als Rita Tante Doras Wohnung betrat, die seit sechs Wochen ihr Zuhause war und ihr in diesem Moment noch trauriger und verstaubter erschien als an dem Abend, an dem Ingrid und sie aus London angekommen waren.
    Sie war innerlich und äußerlich erschöpft, ihre Augen waren wund vom Weinen, doch trotz ihrer Müdigkeit fühlte sie sich von einer Energie durchströmt, die sie vorerst am Schlafen hindern würde, es sei denn, sie nahm eine Schlaftablette. Aber Schlaftabletten weckten seit Lenas Tod unangenehme Assoziationen in ihr.
    Im Kühlschrank fand sie nur eine angebrochene Flasche Weißwein, und obwohl sie wusste, dass sie davon allenfalls noch wacher würde, nahm sie sie mit ins Arbeitszimmer, zusammen mit einem geschliffenen Kristallaschenbecher, den sie einige Tage zuvor im Wohnzimmerschrank entdeckt hatte und der aussah, als wäre er noch nie benutzt worden.
    Im schwachen orangefarbenen Licht der Straßenlaternen ließ sie sich am Schreibtisch nieder, zündete eine Zigarette an und saß ganz still da, sah erst zur Decke und ließ den Blick dann langsam über die Gegenstände gleiten, die ihre Fähigkeit, Gefühle und Erinnerungen zu wecken, gänzlich verloren hatten.
    Vor einer guten Woche war sie genau hier mit Candela zusammen gewesen. Nach ihrem unsäglichen Duschbad hatten sie
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