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Tod im Beginenhaus

Tod im Beginenhaus

Titel: Tod im Beginenhaus
Autoren: Petra Schier
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ein paar der Körner geschluckt und kaute nun auf einigen weiteren.
    «Nicht? Warum nicht? Ihr kennt mein Geheimnis. Vielleicht wollt Ihr mich nun in der Hand haben, jetzt, da Lufard tot ist? Nein? Aber anklagen, ich weiß. Ihr seid eine Schnüfflerin, und Ihr tut gut daran, mich zu verurteilen. Gewiss seid Ihr noch niemals vom rechten Weg abgekommen. Wahrscheinlich glaubt Ihr, es gibt immer eine Wahl.» Irmingard schluckte und nahm noch ein paar der Körner. «Sie sind schon alt, die Samen», erklärte sie. «Man muss mehr nehmen, damit sie wirken, wenn sie alt sind.» Wieder schluckte sie. Adelina überkam mit einem Male kaltes Grauen. Rückwärts ging sie bis zur Tür.
    «Ihr wollt gehen? Geht nur.» Irmingard nickte. Ihre Stimme war undeutlich, so als sei ihre Zunge angeschwollen.«Ich bin auch lieber allein. Ich war immer allein, also werde ich nun zu guter Letzt keine Ausnahme machen. Geht!» Sie lachte schrill und hustete. Das Gift wirkte bereits. Adelina tastete nach dem Türknauf, und als sie ihn gefunden hatte, riss sie die Tür auf und floh aus dem Todeszimmer. Irmingards Lachen und Husten verfolgte sie bis ans Ende des Ganges.
    Die Pförtnerin war nicht mehr auf ihrem Posten, und es schien, als seien die anderen Beginen, die hier im Hof lebten, alle in Geschäften außer Haus.
    Unsicher, wie sie sich verhalten sollte, sah sich Adelina um und trat schließlich durch die Pforte hinaus auf die Straße. Ihr Herz pochte zum Zerbersten, und das Blut rauschte ihr in den Ohren. Die Kutsche, die wenige Meter weiter hielt, bemerkte sie nicht.
    «Adelina! Verdammt, habe ich Euch nicht gesagt, Ihr sollt von hier wegbleiben!» Burka sprang von dem Gefährt und kam mit großen Schritten und wütendem Gesicht auf sie zugestürmt. Ein paar Armeslängen hinter ihm folgte Georg Reese, zusammen mit einigen seiner Berittenen. Auch Greverode war unter ihnen.
    «Wart Ihr etwa bei Irmingard? Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen?», brüllte Burka außer sich. «Ihr seid nicht nur ein stures Frauenzimmer, Ihr seid vollends übergeschnappt!»
    «Hört auf damit!», fauchte sie zurück. «Geht selbst hinauf zu ihr. Aber ich warne Euch, es wird kein schöner Anblick sein.»
    «Was soll das heißen?», mischte Reese sich empört ein.
    «Schierling», antwortete Adelina und wandte sich zum Gehen. Ihre Magensäfte begannen sich zu heben. Keinesfalls wollte sie sich hier und jetzt übergeben.
    «Bleibt hier!», befahl Burka. Zusammen mit den anderen Männern stürmte er auf das Haupthaus des Hofes zu.
    Adelina blieb jedoch nicht. Ihre Glieder waren eiskalt. Langsam, den Blick zur Erde gerichtet und präzise einen Fuß vor den anderen setzend, machte sie sich auf den Weg nach Hause.

18
    «Sie haben Irmingard vor dem Stadttor verscharrt», erzählte Adelina Franziska wenige Tage später beim Aufräumen der Küche. «Eine Untersuchung des Falles wird es nicht geben, hat der Erzbischof angeordnet. Nach dem Sturz des Stadtrats gibt es wohl wichtigere Dinge. Es muss Gericht gehalten werden. Einige von Hilgers Anhängern sind bereits verurteilt und in die Verliese des Bayenturms und des Turms von St. Kunibert gesperrt worden.»
    «Ich hab gehört, gestern hätten sie den alten von Stave aufgegriffen», ergänzte Franziska eifrig. «Den werden sie bestimmt hinrichten, hat mein Vater gesagt.»
    «Wie geht es deinem Vater?», fragte Adelina sofort.
    Franziska zuckte nur mit den Schultern.
    «Wie immer. Er hat kaum einen Kanten Brot im Haus, dafür ein ganzes Fässchen gutes Bier. Aber Arbeit hat er angeblich. Am Hafen Kisten tragen für die Fährschiffer.»
    «Das ist doch gut», sagte Adelina teilnahmsvoll. «Vielleicht fängt er sich ja wieder.»
    Erneut zuckte Franziska mit den Schultern, dann wechselte sie das Thema.
    «Also, dass diese Begine sogar ihr eigenes Kind umgebracht hat. Das kann ich nicht verstehen. Und nur wegen diesem Mann?»
    «Ich glaube, nicht nur wegen ihm», meinte Adelina nachdenklich. «Ich glaube, Irmingard war bei allerMildtätigkeit immer ziemlich ehrgeizig … und auch einsam. Man sieht den Menschen nicht immer an, was in ihnen vorgeht, und sie hatte ein schlimmes Schicksal hinter sich. Vielleicht ist dadurch in ihrem Kopf irgendwas durcheinander geraten. Wer weiß.» Nun war es an Adelina, mit den Schultern zu zucken. Sie hatte lange über Irmingards letzte Worte nachgedacht, doch Mitleid verspürte sie nicht. Erleichterung allerdings auch nicht. Sie hatte vor fünf Jahren selbst etwas getan, von dem sie
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