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Tochter der Insel - Historischer Roman

Tochter der Insel - Historischer Roman

Titel: Tochter der Insel - Historischer Roman
Autoren: Jutta Oltmanns
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die Wangen. Wie sehr sie sich danach sehnte, ihm nahe zu sein. Fast glaubte sie, seinen festen Männerkörper zu spüren. Lea schloss die Augen und beschwor Immos Gesicht herauf. Sie liebkoste in Gedanken jedes Detail: das energische Kinn, die blauen Augen, die bronzene Haut und sein Haar, das so hell war, dass es im Sonnenlicht weiß schimmerte.
    Immer schon hatte sie ihn geliebt. Von Anfang an. Und immer war diese Liebe ihr Geheimnis geblieben.
    Nicht einmal Rebekka wusste davon. »Er ist wie unser Bruder«, hatte sie behauptet. Aber für Lea war es nie so gewesen. Mit ihrem Zuhause verband sie nicht nur die Insel, das Haus, in dem sie aufgewachsen war, und das Meer, sondern auch Immo.
    Lea sah ihn vor sich, als Jungen mit geflickter Hose, der mit ihr und Rebekka am Strand nach Schätzen Ausschau hielt, dann als jungen Mann, der winkend vor dem Fenster der Großmutter stand, und schließlich erwachsen, selbstbewusst und gut aussehend.
    Ein warmes Gefühl der Vorfreude durchzog sie. Seine Studien würden nicht ewig dauern. Bald käme er nach Hause zurück, und vielleicht würde ihr Traum von einem gemeinsamen Leben in Erfüllung gehen.
    Der Schrei einer Möwe riss Lea jäh aus ihren Träumen. Sie war beim Damenbadestrand angekommen, sah von den Badekarren, die auf Gäste zu warten schienen, zu den weißen Schaumkronen, die auf dem Meer tanzten. Rasch schlüpfte sie aus den Schuhen und spürte das Wasser an ihren Füßen. Wie es wohl wäre, sich einfach den Wellen zu überlassen, mit hinausgetragen zu werden, weiter und immer weiter?
    Lea trat noch einen Schritt in das Wasser hinein und blieb dann stehen. Umschmeichelt von den Wogen schaute sie zum Horizont und merkte, wie ihr Kopf klarer wurde. Sie beobachtete die vorbeiziehenden Schiffe und fragte sich, wohin sie wohl unterwegs sein mochten.
    Versunken in ihrer Träumerei bemerkte Lea nicht, wie jemand auf sie zukam.
    Immo blieb in einiger Entfernung stehen und beobachtete die einsame Gestalt. Lea wiederzusehen, ihr von seinem Glück zu erzählen, darauf hatte er sich am meisten gefreut. Er schloss die Augen und sog die feuchte salzige Luft ein. Es tat so gut, wieder hier zu sein. Als er das erste Mal Abschied nehmen musste, da hatte er geglaubt, es auf dem Festland nicht aushalten zu können. Fern von Wangerooge fühlte er sich allein und unglücklich. Doch da war sein unbeugsamer Wille gewesen, Lehrer zu werden. Halte aus, wovor du dich am meisten fürchtest – und du wirst daran wachsen. Den Satz hatte sein Vater ihm mitgegeben. Das Heimweh war geblieben, aber hatte gelernt, damit zu leben.
    Doch es änderte nichts daran, dass er nur auf Wangerooge wirklich zu Hause war. Und Lea war ein Teil von Wangerooge. Er lief auf sie zu und rief ihren Namen.
    Sie drehte sich erschrocken zu ihm um. Dann leuchtete ihr Gesicht auf, und sie breitete die Arme aus.
    »Immo! Wann bist du angekommen?«
    »Vor gut einer Stunde. Die Telegraph hat mich auf die Insel gebracht, und statt meiner deine Großmutter mitgenommen.«
    »Ein guter Tausch!«
    Immo löste sich sanft aus ihrer Umarmung und musterte sie liebevoll. »Es ist schön, dich zu sehen!«
    »Wie lange?«
    »Eine Woche kann ich bleiben. Und soll ich dir ein wunderbares Geheimnis verraten?«
    Lea nickte ihm strahlend zu.
    Immo ergriff ihre Hände und flüsterte: »Bald werde ich für immer hier sein.«
    »Ist das wirklich wahr?«
    »Ja! Der alte Schulmeister Jensen hat sich schon längst seine Pension verdient. Ich soll sein Nachfolger werden. Es gibt nicht viele Bewerber, die sich danach strecken, unsere Inselkinder zu unterrichten.« Er zwinkerte ihr zu.
    »Das ist ja wunderbar!«
    Immo zog Leas Arm unter den seinen und gemeinsam schlenderten sie am Strand entlang. Er berichtete von den Erlebnissen der letzten Monate. Vom Studentenleben, den Verwandten in der Stadt, dem Lärm auf den Straßen und seiner Sehnsucht nach Wangerooge. Sie vergaßen die Zeit.
    Erst als die Sonne schon im Meer versank, merkte Immo, dass er die wichtigste Neuigkeit noch ausgespart hatte. Unvermittelt blieb er stehen, bückte sich nach einem Stein und ließ ihn über das Wasser tanzen. Warum hatte er Lea nicht gleich davon erzählt? Warum fiel es ihm plötzlich so schwer, Carlottas Namen zu nennen? Er hatte es doch kaum erwarten können, von ihr zu sprechen.
    »Lea, es hat seinen ganz besonderen Grund, dass ich für einige Tage auf die Insel gekommen bin. Morgen wird eine Freundin mich besuchen. Ich möchte sie meinen Eltern vorstellen und
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