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Timm Thaler

Timm Thaler

Titel: Timm Thaler
Autoren: James Krüss
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allgemeine Aufmerksamkeit. Er hatte
    seinen drei Mitschülern das Petzen und seiner Stiefmutter die
    Schläge längst verziehen. Gern hätte er jetzt mit aller Welt gescherzt.
    Aber das ging nicht mehr. Wenn er zu lachen versuchte, grinste er frech.
    Bald versuchte er gar nicht mehr zu lachen oder witzig zu sein. Er gewöhnte sich daran, ein ernstes Gesicht zu machen. Und das ist
    wohl das Schlimmste, was einem Kind passieren kann.
    Da sagten die Nachbarn: „Er ist hochmütig geworden!“ Die
    Mitschüler fingen an ihn zu meiden, als ihre Neugierde befriedigt war, und sogar die Stiefmutter, die jetzt etwas ruhiger war als vorher, nannte ihn einen Sauertopf.
    Übrigens sagte die Stiefmutter nie wieder, daß Wettgeld nicht
    ehrlich verdient sei. Sie fand Pferderennen plötzlich ehrenhaft und gesetzlich. Sie fragte Timm sogar, ob er von dem Geld zwanzig
    Mark haben wolle, damit er am Sonntag noch einmal wetten könne.
    Timm, der von dem Gewinn bis dahin keinen Pfennig erhalten
    und die Träume vom Marmorgrabstein und vom Tretroller fürs erste
    begraben hatte, lehnte aus Trotz auch die zwanzig Mark ab. Seit der Sache mit der Kuchenrechnung sah er die Stiefmutter mit anderen
    Augen an. Er traute ihr nicht mehr. Und auch das ist schlimm für ein Kind.
    In dieser Woche wünschte Timm zum erstenmal in seinem Leben,
    daß es keine Sonntage geben möge. Er fürchtete, daß die Stiefmutter ihn zu einem Besuch der Rennbahn überreden werde. Und seine
    Furcht war begründet.
    Schon am Samstagabend kamen die ersten Bemerkungen:
    „Möchste noch’n Brot, Timm? Eigentlich soll man ja dreimal
    wetten, wenn man Glück gehabt hat. Na, ist ja noch Zeit bis morgen.
    Kannste dir ja immer noch überlegen, obste gehst oder nicht, nicht?“
    Und natürlich ging Timm doch! Nicht nur, weil Erwin und die
    Stiefmutter schon beim Frühstück anfingen, Bemerkungen über
    Pferderennen zu machen, sondern auch, weil Timm den Vertrag
    erproben wollte, diesen merkwürdigen Vertrag im Mützenfutter, von dem er schon jetzt nicht mehr recht wußte, ob er ein gutes Geschäft oder eine Gemeinheit sei.
    Sie fuhren zu dritt mit der Straßenbahn zum Rennplatz. Erwin
    hatte vor Aufregung zum erstenmal rote Flecken auf den bleichen
    Wangen, und die Stiefmutter plapperte wieder ohne Punkt und
    Komma von Risiko, Schiebungen und viel zu hohem Einsatz. Sie
    gab Timm die zwanzig Mark mit hundert überflüssigen
    Ermahnungen und fügte hinzu: „Setz das Geld nicht auf Fortuna,
    Timm! In der Straßenbahn hab’ ich gehört, Fortuna hat keine
    Aussichten! Hat eine Pferdekrankheit oder so was. Also nicht auf
    Fortuna, Timm!“
    Natürlich setzte Timm jetzt erst recht auf Fortuna. Mit dem
    Vertrag in der Mütze konnte ihm nichts passieren. Obendrein hielt er es für klug, der Stiefmutter zu beweisen, daß er von diesen Dingen mehr verstand als sie.
    Aber als sie auf der Rennbahn waren, schenkten die Stiefmutter
    und Erwin ihm kaum mehr Aufmerksamkeit. Sie waren viel zu sehr
    gefesselt von allem, was um sie herum vorging: von den feinen
    Damen und den eleganten Herren, von den Rennpferden, die an
    Zügeln vorbeigeführt wurden, von den kleinen Jockeys mit den roten Mützen und von all dem geschwätzigen, lärmenden Durcheinander
    vor den Schaltern und an den Gittern.
    „Willst du nicht zuschauen?“ fragte die Stiefmutter, als Timm
    seinen Wettschein abgegeben hatte.
    Der Junge schüttelte den Kopf.
    „Auf welches Pferd hast du gesetzt?“ fragte Erwin.
    „Auf Fortuna!“ erwiderte Timm unnötig laut.
    Die Stiefmutter fuhr herum. „Auffortuna? Aberich habedir
    dochesagt, daß diesespferd, dashabich iner Straßenbahn ge – hört…“
    Der Startschuß für das Rennen unterbrach das Geplapper.
    Pferdegetrappel war zu hören; die Zuschauer fingen zu rufen und zu lärmen an; und die Stiefmutter und Erwin stürzten davon, um hinter Zylindern, Hüten und Schleiern einen Blick auf die Pferde zu
    erhaschen. Sie standen nicht weit von Timm entfernt, der sich ins Gras gesetzt hatte, und ab und zu schrie Erwin aufgeregt etwas
    herüber.
    „Fortuna liegt an dritter Stelle!“ schrie er. Und dann: „Fortuna
    holt auf!“ Schließlich jubelnd und kreischend: „Fortuna ist vorn!“
    Aber dann sah es so aus, als sei Fortuna erschöpft. Das Pferd fiel zurück, und Erwin schrie: „Unser Geld ist weg! Fortuna kann nicht mehr!“ Jetzt drehte die Stiefmutter den Kopf zu Timm um, und ihr
    Blick sagte: „Ich habesja gewüßt! Hättste aufmichgehört!“
    Doch kurz vor dem Ziel
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