Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tiere

Tiere

Titel: Tiere
Autoren: Simon Beckett
Vom Netzwerk:
ähnlich. Es lag daran, dass wir stehen geblieben waren. Wenn ich mich bewegte, kam ich klar, und deshalb sagte ich: «Okay», und ging runter.
    Sobald ich ihre Hand losließ, hatte ich das starke Gefühl, dass ich etwas falsch mache, dass ich bei ihr bleiben und warten sollte, bis derjenige, der unten vor der Tür stand, wieder verschwand. Doch während ich noch überlegte, was ich machen soll, war ich schon die Treppe runter.
    Dieses Mal dachte ich nicht daran, erst durchs Fenster zu schauen, denn ich hatte es eilig. Ich ging geradewegs zur Tür und machte sie auf. Und da standen die beiden und strahlten mich an, als hätten sie sich seit dem vergangenen Tag nicht von der Stelle gerührt. Der Mann und die Frau von der Heilsarmee.
    «Hallo, wir sind’s wieder!», sagte die Frau. «Tut mir leid, wenn wir dich stören, aber wir waren gerade unterwegs zurAbendversammlung, und da dachte ich mir, lass uns doch mal bei dem netten jungen Mann vorbeischauen, vielleicht kriegen wir ihn dazu, dass er mitkommt.»
    Ich schaute sie nur an. Ich wusste, dass ich schwankte, aber ich konnte nichts dagegen tun.
    «Wenn deine Freundin noch hier ist, kann sie gerne mitkommen», meinte sie. «Wenn du lieber nicht willst, ist es auch gut. Wir wollen dich nicht drängen. Aber es ist ein so schöner Abend, dass es doch schade wäre, wenn du hier   …», sagte sie, und da gab es hinter mir einen Krach, als wäre ein Stuhl oder ein Tisch umgefallen.
    Die beiden schauten an mir vorbei in die Schankstube, und das Lächeln fiel ihnen regelrecht aus dem Gesicht. Ich konnte hören, wie Cheryl fluchte und versuchte, sich aufzurappeln, aber ich tat so, als wäre nichts geschehen.
    «…   ganz allein bist, wollte ich sagen», beendete die Frau ihren Satz, schaute mich wieder an und versuchte zu lächeln. Aber sie konnte nicht. Jedenfalls nicht richtig. Der Mann guckte immer noch an mir vorbei, aber ich drehte mich nicht um, selbst dann nicht, als Cheryl wieder umkippte.
    «Äh, ja, wie ich sehe, hast du noch Besuch», sagte die Frau. Sie sah aus, als hätte ihr jemand ins Gesicht getreten. «Dann wollen wir dich nicht aufhalten. Komm, George», sagte sie. «George!», wiederholte sie ein bisschen gereizt, denn er starrte immer noch in die Schankstube. Er war total rot geworden, und als sie weggingen, sagte er nicht auf Wiedersehen oder so, sondern nickte mir nur zu.
    Ich schloss und verriegelte die Tür und drehte mich dann um. Cheryl saß zwischen einem umgekippten Tisch und einem umgekippten Stuhl auf dem Boden. «Tut mir leid», sagte sie. «Bin gestolpert.» Sie sah total verquollenund matschig aus, aber darauf achtete ich kaum. Ein Träger ihres Oberteils hing runter, und eine ihrer Brüste war praktisch rausgefallen. Ich muss darauf gestarrt haben, denn sie schaute an sich hinab und meinte: «Ups», und zog den Träger wieder hoch, wozu sie zwei oder drei Anläufe brauchte. Dabei lachte sie die ganze Zeit.
    «War das die Heilsarmee?», fragte sie, nachdem sie es geschafft hatte. Ich nickte. «Zuerst dachte ich, es wäre die Polizei. Ich hab mich zu Tode erschreckt.» Sie saß immer noch auf dem Boden, das Gesicht rot und verschwitzt, und schaute mich mit diesem Lächeln an.
    «Hilfst du mir hoch?», fragte sie, und ich ging zu ihr. Ihre Hand war heiß, und als ich zog, kam sie mir total schwer vor. Ich kriegte sie ein Stückchen hoch, aber dann begann sie zu kichern und sackte wieder zurück, sodass ich schließlich neben ihr auf dem Boden landete. Ohne es zu wollen, begann ich sie zu küssen und ihre Brüste anzufassen. Als ich mit den Händen unter ihr Oberteil fuhr, gab es ein Reißgeräusch, und Cheryl meinte: «Sachte.»
    Ich hörte sofort auf. Ihr Oberteil klaffte an einer Seite auf, es war unter der Achsel gerissen. Ich ließ sie los und sagte: «Tut mir leid, tut mir leid», und wollte aufstehen, aber sie hielt mich am Arm fest.
    «Schon gut», sagte sie. «Mach nur ein bisschen langsamer.» Doch ich konnte nicht glauben, was ich getan hatte. Ich erkannte mich nicht mehr. Dann fiel mir wieder die Heilsarmee ein, und ich schaute zum Fenster, um mich zu vergewissern, dass die beiden uns nicht beobachteten. Am liebsten hätte ich mich verkrochen. Die Frau hatte jeden Grund gehabt, mich so anzugucken, wie sie es getan hatte. Ich war wie ein Tier.
    Ich wollte wieder sagen, dass es mir leidtut und dass ich ihr ein neues Oberteil kaufe, aber Cheryl meinte: «Ist egal.» Sie lächelte immer noch und beugte sich zu mir, als wollte sie mich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher