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Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Theologisch-Politische Abhandlung: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
Autoren: Baruch de Spinoza
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uns hinterlassenen heiligen Schriften aufzuschlagen, und zwar mit dem Vorbehalt, dass wir über dergleichen nichts aus uns selbst entnehmen, noch den Propheten etwas zutheilen, was sie nicht selbst deutlich erklärt haben. Hier ist es besonders erheblich, dass die Juden niemals der Mittel oder der besondern Ursachen erwähnen und sich darum kümmern, sondern der Religion und Frömmigkeit halber oder, wie man gewöhnlich sagt, der Ehrfurcht wegen immer Alles auf Gott unmittelbar beziehen. Z.B. wenn sie im Handel Geld gewonnen haben, so sagen sie, Gott habe es ihnen zugewendet, und wenn sie etwas sich wünschen, so hat Gott ihr Herz bewegt, und wenn sie etwas denken, so heisst es: Gott habe es ihnen gesagt. Deshalb darf nicht Alles, was nach der Bibel Gott Jemand gesagt hat, für Weissagung und übernatürliche Erkenntniss gehalten werden, sondern nur das, wo die Bibel dies ausdrücklich sagt, oder die Umstände der Erzählung klar ergeben, dass es eine Weissagung oder Offenbarung gewesen ist.
     
    Geht man nun die heiligen Schriften durch, so sieht man, dass alle Offenbarungen Gottes an die Propheten entweder durch Worte oder sichtbare Zeichen oder durch Beides, Worte und Zeichen, geschehen sind. Diese Worte waren theils wirkliche, die der Prophet sich nicht blos einbildete zu hören oder zu sehen, theils waren sie eingebildete, indem die Einbildungskraft des Propheten auch im Wachen so beeinflusst wurde, dass er bestimmt glaubte, etwas zu hören oder zu sehen.
     
    Mit wirklichen Worten hat Gott dem Moses die Gesetze geoffenbart, die er den Juden geben wollte, wie aus Exod. XXV., 22, erhellt, wo Gott sagt: »Und ich werde bereit für Dich sein, und ich werde zu Dir sprechen von jener Seite des Zeltes, welches zwischen den beiden Cherubim ist.« Denn dieses zeigt, dass Gott der wirklichen Worte sich bedient hat, da Moses, sobald er wollte, Gott daselbst zum Sprechen bereit fand. Dies allein waren wirkliche Worte, wodurch nämlich das Gesetz verkündet wurde, wie ich gleich zeigen werde.
     
    Ebenso würde ich die Stimme, mit der Gott den Samuel rief, für eine wirkliche halten, weil es 1. Samuel III. im letzten Vers heisst: »Und wiederum erschien Gott dem Samuel in Shilo, weil Gott dem Samuel in Shilo durch das Wort Gottes geoffenbart worden«, als wenn es hiesse: Gottes Erscheinung bestand für Samuel nur darin, dass Gott sich durch sein Wort ihm offenbarte, oder dass Samuel Gott sprechen hörte. Indess muss man, da zwischen der Weissagung des Moses und der übrigen Propheten ein Unterschied gemacht werden muss, diese von Samuel gehörte Stimme für eine eingebildete erklären; was auch daraus erhellt, dass sie der Stimme des Heli, die Samuel vorzüglich zu hören pflegte, ähnelte; denn nachdem er dreimal von Gott gerufen worden, glaubt er, er werde von Heli gerufen. Auch die Stimme, die Abimelech hörte, war eingebildet; denn es heisst Gen. XX. 6: »Gott sagte ihm im Traume u.s.w.« Deshalb konnte er den Willen Gottes nicht im Wachen, sondern nur im Traume hören, wo die Einbildungskraft am meisten geeignet ist, sich nicht vorhandene Dinge vorzustellen.
     
    Nach der Meinung einzelner Juden sind die Worte der zehn Gebote nicht von Gott gesprochen worden, sondern die Israeliten haben nur ein Getöse gehört, das keine Worte sprach, aber während dessen erfassten sie die zehn Gebote mit ihrem blossen Verstände. Auch ich habe früher dies geglaubt, weil die Worte der zehn Gebote im 2. Buch Mosis von denen im 5. Buch Mosis abweichen, und da Gott nur einmal geredet hat, so scheinen deshalb die zehn Gebote nicht die eignen Worte Gottes, sondern nur seinen Willen zu enthalten. Will man indess der Bibel nicht Gewalt anthun, so muss man zugeben, dass die Israeliten eine wirkliche Stimme gehört haben. Denn es heisst Deut. V. 4 ausdrücklich: »Von Angesicht zu Angesicht hat Gott mit Euch gesprochen;« d.h. so, wie zwei Menschen ihre Gedanken gegenseitig vermittelst ihrer beiden Körper sich mitzutheilen pflegen. Es wird deshalb mehr mit der Bibel übereinstimmen, anzunehmen, dass Gott wirklich eine Stimme erzeugt hat, welche die zehn Gebote offenbarte. Weshalb aber die Worte und Gründe derselben in dem einen Buche Mosis von denen in dem andern abweichen, wird später im achten Kapitel dargelegt werden. Indess ist auch damit nicht alle Schwierigkeit gehoben; denn es läuft gegen die Vernunft, anzunehmen, dass ein erschaffenes Ding, was ebenso wie alles Andere von Gott abhängt, das Wesen oder Dasein Gottes durch seine
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