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Theo

Titel: Theo
Autoren: Carl Hanser Verlag
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bestimmt, sondern gewählt. Er verdankt sich der Fachliteratur »800 Vornamen von A bis Z«. Dort stand er unter »T«. Wäre er ein Mädchen geworden, so hätte er wahrscheinlich Oskara geheißen. Vielleicht wurde er deshalb ein Bub.
    Die Verwandten und Bekannten hatten von »Theo« vehement abgeraten. Sie forderten (in Sprechchören): Lukas. Das stimulierte die Eltern. Und sie sollten recht behalten. Die, die vor der Geburt die Nase gerümpft und ein entsetztes »Theeeo? Wirklich?« ausgestoßen hatten, hört man jetzt »Theeeo! Da is er ja, na freilich, na so ein Süßer, der Theeeo!« jubeln.
    Wem »Theo« zu wenig ist, der darf auch »Spatz« sagen, wie Mama es manchmal tut. Theos echter Kosename ist »Bebeto«. Dazu gibt es eine kleine Geschichte. (Erwachsene erzählen sich gerne kleine Geschichten über Babys.) Im fünften Monat war eine Fußballweltmeisterschaft, unter anderem im Fernsehen. Da hat ein gewisserBebeto aus Brasilien ein Tor geschossen. (Oder hat er danebengeschossen?) Jedenfalls glaubte Mama im selben Moment ein leichtes Kitzeln im Bauch gespürt zu haben. Theo hat offensichtlich auf Bebeto reagiert.
    Solche Geschichten entwickeln sich. Wenn Theo erwachsen ist, wird es heißen, er hätte Mama bei Bebetos Torschuss einen kräftigen Fußtritt, einen echten »Spitz«, in den Bauch versetzt. Man stelle sich vor, aus Theo wird einmal ein berühmter Fußballer: Die »Bebeto«-Story aus der Schwangerschaft würde gewiss ausufern. Kein Sportreporter, der Theo im Mutterbauch nicht schon erste Fallrückzieher trainieren und Eckbälle getreten haben ließe. Und der offizielle Grund für die Frühgeburt würde lauten: Freiluft-Kicker Theo hatte die Bedingungen in der Halle endgültig satt.
    Theo wird wahrscheinlich kein Fußballer. Er wird Arzt oder Psychologe oder weder noch. Er darf alles werden. Er muss nur glücklich dabei sein. Papa würde Theo (und somit sich selbst) wünschen, dass er ein Denker wird. Er dürfte sich dabei ruhig (fast) so viel Zeit lassen wie Papa. Mama wäre es wichtig, dass sich Theo bei den praktischen Dingen im Leben zurechtfindet. Er soll mutig, entschlossen und zielstrebig sein. Gut verdienen darf er auch.
    Beide wünschen ihm Toleranz gegenüber Andersdenkenden, Offenheit gegenüber Fremden und ein Herz für die Schwachen. Er soll viel Geduld haben, aufrichtig sein und über sich selbst lachen können. Anerziehenkann man ihm nichts von alledem. Nur vorleben. Die Chancen stehen gut.
    Im Jahr 2000, wenn Theo die erste Klasse Volksschule besucht – sollte eine solche dann noch existieren –, wird er eine Riesen-Schultüte tragen – sollten solche dann noch produziert werden. Er wird wahrscheinlich blond sein, sollten ihm ernsthaft einmal Haare wachsen. Es wird Buben mit dünneren Nasen und schmäleren Lippen als den seinen geben.
    Theos Augen dürften groß werden und hellblau bleiben. Körpertyp: ziemlich athletisch (behauptet die Mama). Schuhgröße: 44 aufwärts. (Der Fußabdruck des Neugeborenen kann an Propheten nicht spurlos vorübergehen.)
    Nach fast zwei Monaten auf der Welt, einem verfrühten und einem regulären, ist Theo jedenfalls reif für den ersten Titel. Er ist ein »Easy Baby«. Er gibt, den Umständen entsprechend, ziemlich klare Botschaften von sich, macht keine Geheimnisse daraus, wie er sich gerade fühlt und was er gerade will. Viel kann es ohnehin nicht sein: Entweder ihn drückt ein – Buh (sagt man bei Babys). Oder er ist müde. Dafür bleibt ihm allerdings nicht allzu viel Zeit. Derzeit verschläft er 16 von 24 Stunden.
    Oder er ist hungrig. Theo konsumiert vier- bis fünfmal täglich. Es sind dies zweifellos die Höhepunkte seines Neugeborenen-Daseins. Meistens übertreibt er es mit der Menge. Sein Standpunkt: Lieber sich fünfmal übergeben als einmal hungrig zu Bett gehen. Dafürspart er sich viele dieser ungustiösen Rülpsgeräusche.
    Zu geregelten Mahlzeiten hat er sich noch nicht durchgerungen. Am Anfang glaubte er, Milch fließt automatisch in seinen Mund, wann immer er die Unterlippe nach vorne wölbt. Dann kam er dahinter, dass da schon ein festes Etwas im Mund sein muss, ohne das sich keine Flüssigkeit gewinnen lässt.
    In der Abgeschiedenheit des Gitterbetts spielen sich mitunter dramatische Szenen ab: Theo saugend auf der Suche nach dem Gegenstand, der Milch hergibt. Alle Kopfpolsterzipfel sind bereits hoffnungslos ausgelutscht. Immer wieder geraten ihm die eigenen Finger in den Mund. Sie fühlen sich jedes Mal vielversprechend an,
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