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Techno der Jaguare

Techno der Jaguare

Titel: Techno der Jaguare
Autoren: Manana Tandaschwili , Jost Gippert
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für die Freigabe des Verstorbenen an das Bestattungsinstitut. Wir könnten Ihnen einige empfehlen, die mit uns kooperieren, die auch auf Wunsch Verbrennungen durchführen. Es ist nichts Außergewöhnliches, dass der Tod eines geliebten Menschen Schockzustände bei Familienangehörigen verursacht, jedoch sind nun 48 Stunden vergangen, und es wäre angebracht, der Tragödie mit angemessenem Respekt zu begegnen. In unserem Krankenhaus gibt es eine hervorragende psychologische Betreuung für Trauerbewältigung. Das ist keine Sache, für die Sie sich schämen müssten. Wenden Sie sich einfach an … Tuuuuuuuuuuuuuut.
    Der Anrufbeantworter ist voll und hat keinen Bock mehr. Der Glaspalast explodiert.
    12.
    Lena im Hintergrund. Agnes schaut ihr zu.
    lena    Also, hier, die Einbauschränke. Kennen Sie das Wort? Einbauschrank? Ach ja, bin ich froh. Endlich jemand, der unsere Sprache spricht. Diese Agenturen schicken immer irgendwelche Restposten quasi, nichts gegen Sie, aber ich meine, man zahlt sein Geld, und man will was dafür. Man denkt, ach ja, die sind reich und deswegen gleich dumm, denen fällt gar nicht auf, dass da jemand die Sprache nicht beherrscht, dass da jemand Gulasch kocht, obwohl man doch eigentlich Rinderbraten gewollt hat …
    Agnes lacht. Und geht immer weiter rückwärts.
    Da, wo einen keiner findet. An dem unsichtbaren Ort. Zu Hause?
    agnes  Ich habe immer gedacht, wenn ich ein Messer in dich ramme, dann kommt kein Blut raus, weil du so hart bist, so hart wie Stahl. Warum weinst du nicht? Ich habe immer gedacht, wenn ich ein Messer in dich ramme, dann wirst du gar nicht bluten, so hart bist du, so hart wie Stahl. Ich habe mir immer vorgestellt, wenn ich dich anfasse, wenn ich dich kneife, ganz fest, so fest, dass ich meine ganzen Muskeln dabei anspannen muss, dann wirst du dich nicht rühren. Du wirst nichts empfinden, während ich rot anlaufe vor lauter Anspannung und Krampf und anfange zu schwitzen. Und ich gebe mir die Blöße, und du bleibst so, wie du immer bist: ätherisch, abwesend, unnahbar. Und ich stehe da, ich bin dann die Verliererin, ich bin die, die unter deiner kalten Anti-Falten-Shiseido-Cremeschicht anfängt zu schmelzen. Dein Gesicht bleibt aber weiterhin so, als ob das Leben an ihm spurlos vorbeiginge, ohne dich auch nur leicht zu berühren. Als würdest du dem Leben immer deinen manikürten Mittelfinger zeigen und die Zunge dabei rausstrecken, die Zunge, die so aussieht, als hätte sie keine Spucke. Ich habe immer gedacht – das liegt daran, dass du noch nie, noch nie den Schmerz hast zu dir nehmen müssen wie eine erforderliche Medizin, wie eine Diabetikerspritze, ja, daran, dass du eben nie eine Diabetikerin warst, dass du nie den Schmerz hast lutschen müssen wie einen bitteren Lakritzbonbon, der eklig und lecker zugleich ist. Den man will, ohne zu wissen, warum. Und ja, ich habe immer vermutet, diese Schicht, diese scheiß Schicht auf deinem Körper, auf deinem Gesicht, die du dir zugelegt hast – die ist ein Produkt der Verzweiflung, die dir der Schmerz hinterlassen hat, als Rache dafür, dass du dich seiner nie angenommen hast. Die kalte, modrige Verzweiflung. Die Angst. Die Angst vor sich selber, vor dem Leben, vor dem Mann, vor dem Kind, vor der Welt. Vor der Stelle, eingeklemmt zwischen den schmalen Rippen, die anfängt, weh zu tun, wenn man sie nicht mehr füttert, immer und wieder, füttert – mit vielen Kostbarkeiten. Das habe ich gedacht. Bis heute, bis zu diesem Augenblick, in dem mir klar wird, dass meine Vermutungen falsch waren und fatal dazu. Falsch und fatal. So wie du eigentlich. Und ich stehe da und lache. Ich lache. Ich muss lachen. Nicht, weil ich Angst davor habe, nicht, weil ich durchdrehe, nicht, weil ich meine Beherrschung verliere. Ich lache, weil ich eine Leerstelle entdecke, eine Lücke, die nur mein Lachen übertönen kann, die Stille in mir. Denn ich kann dich nicht mehr verachten, ich kann mir die Verachtung nicht mehr leisten – meine Anti-Leben-Creme für all die Jahre, an deiner Seite. Meine Schutzschicht, die süße, bittere Schokolade, verpackt in eine Schachtel, auf der Verachtung steht. Ja, das habe ich immer aufbringen können, dir zeigen können, immer, wenn deine Kälte meine Schläfen durchbohrt hat, immer, wenn meine Tränen anfingen zu streiken. Und ich habe gewusst, dass sie wirkt. Ja, das hat gewirkt. In unserem Krieg, der so viele Jahre angedauert hat, im Krieg, der sich selbst bestätigt wissen wollte und nichts sonst.
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