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Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür
Autoren: Rocko Schamoni
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mir so leid! Bitte entschuldigen Sie vielmals! Oh Gott …«
    Sie stottert und versucht mich von dem Dreck und den Pflaumenresten zu befreien.
    »Es tut mir so leid, ich habe Sie nicht gesehen, wirklich nicht!«
    Ich setze ein tapferes Gesicht auf.
    »Macht nichts, schon gut, ist nicht weiter schlimm.«
    Ich humpele ein wenig zur Seite und stöhne schmerzlich.
    »Wirklich, es tut mir so leid, entschuldigen Sie bitte, kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
    »Nein, nein, ist alles okay. Machen Sie sich mal um mich keine Sorgen. Haben Sie sich denn nichts getan?«
    Ihre Schuld und meine Großmütigkeit treiben ihr Tränen in die Augen.
    »Nein, mit mir ist nichts, ich habe mich nur so erschreckt. Was kann ich denn jetzt für Sie tun?«
    »Nichts, machen Sie sich mal keine Sorgen. Besser, ich gehe nach Hause und lege mich ein wenig hin, ich weiß ja nicht, ob etwas gebrochen ist …«
    »Aber …«
    Sie schaut mir mit schuldbeladenem Blick nach. Ich entferne mich langsam und hinkenden Schrittes. Gemüse-Günni redet jetzt auf die Frau ein, will seinen Schaden bezahlt haben. Ich lasse die beiden zurück, schließlich habe ich meine Entschuldigung bekommen und kann wieder nach Hause gehen. Während ich mich entferne, beginnt die Frau mir leidzutun. Arme, normale, junge Frau. Wieso musste ich mich an dieser grundnormalen Frau rächen? Was haben die Normalen mir bloß getan? Ich muss häufig über die Normalen nachdenken. Ich lebe in ihrer Welt, aber eigentlich bin ich dort nur zu Gast. Und ich benehme mich wie ein Wilder. Aber was soll ich tun, ein Land für Leute wie mich gibt es nicht. Ein Land, in das die Spinner dieser Welt zurückkehren könnten, nach Jahrtausenden der Vertreibung. Eine schöne Vorstellung: Vor über 2500 Jahren wurden die Spinner dieser Welt aus einem Landstrich, der im heutigen Belgien liegt, vertrieben, und nun kommen sie zurück. Ein Bürgerkrieg bricht aus zwischen Wallonen, Flamen und den Spinnern. Spinner üben Selbstmordattentate aus. Gebt den Spinnern ihr Land zurück! Wir Spinner haben ein Recht auf unsere angestammte Heimat!
    Oft tun mir die Normalen in der Härte meines Urteils leid, und ich habe das Gefühl, ihnen nicht gerecht zu werden. Ich habe bereits ein Gedicht für sie geschrieben:
     
    Es braucht die Glatten und die Graden
    damit die Krummen und die Schiefen
    auch einen Grund zum Klagen haben
    dass sie zu glatt wär diese Welt
    und jedes Feld zu grad bestellt
    und das wär schwerlich zu ertragen
     
    es braucht die Glatten und die Graden
    sie halten diese Welt in Schuss
    mit all den Zäunen und all den Uhren
    mit all dem Soll und all dem Muss
    sie nehmen Maß mit Zoll und Faden
    sie hängen einen toten Barden
    und geben uns ein Feindbild ab
    es braucht die Glatten und die Graden
     
    denn wenn die Krummen und die Schiefen
    auf dieser Welt das Steuer hielten
    die Fahrt sie ging wir könnten wetten
    mit Wucht direkt voll in den Graben
    es braucht die Glatten und die Graden
    damit die Krummen und die Schiefen
    auch einen Grund zum Klagen haben
     
    Von Gedichten kann man nicht leben. Zumindest nicht von solchen. Dann schon eher von Kolumnen.

Schnell verdienter Reichtum
     
    M eine ganze Heimatstadt liegt unter Sand. Ich
komme von der Schule und rutsche fünf oder sechs Meter einen weiten Hang hinunter, denn ich weiß, dass ich jetzt abreisen muss. Ich stapfe durch den Sand Richtung Darry und drehe mich noch einmal im warmen Sonnenlicht um mich selber. Hinter mir gehen drei junge Hippiemädchen in die andere Richtung weg, sie sind schön und prall und auf dem Gipfel ihrer Macht, was man gut an ihren schweren, hängenden, sackähnlichen Schamhügeln erkennen kann. Ich beneide sie, weil sie aus der Zukunft kommen. Ich nehme eine von diesen massiven Thunfischdosen, drehe mich wie ein Hammerwerfer und schleudere sie den Mädchen hinterher, ich weiß, dass ich sie nicht treffen kann. Dann setze ich mich in einen Drehsessel und fahre den Fahrradweg Richtung Darry rückwärts entlang, während ich mit den Füßen bremsend lenke. Ich muss den Bus erreichen, ich werde nicht mehr bei meinen Eltern vorbeifahren.
     
    Etwas kracht. Es muss aus dem Hof kommen. Wahrscheinlich macht sich wieder einer der verdammten Junkies an den Fahrrädern zu schaffen. Langsam verfliegt der Traum. Ich habe Schwierigkeiten, den Übergang, die Passage gut hinzukriegen. Bloß nicht auf der Hälfte stecken bleiben, zwischen Traum und Wirklichkeit, von da gibt’s kein Zurück. Aber ich kann mich nicht entscheiden,
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