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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story
Autoren: Gary Shteyngart
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sonnenverbrannten Backsteinschönheiten, in einer Wolke aus rotem Ziegelstaub und grauer Asche in sich zusammenfielen, fing ich an zu weinen, aber statt mich zu trösten, wurde Eunice wütend. Sie sagte, wenn ich von Gefühlen übermannt würde, erinnere sie das an ihren Vater, der auch immer die Kontrolle verliere, wenn ihm etwas Schlimmes zugestoßen sei, allerdings werde er dann gewalttätig und nicht traurig wie ich. Ich sah sie aus zugeschwollenen Augen an und fragte: «Siehst du denn nicht den Unterschied von beidem? Gewalttätig und traurig.»
    Sie warf mir ihr starres Lächeln zu. «Manchmal habe ich das Gefühl, ich kenne dich gar nicht», flüsterte sie so laut, dass es kaum noch ein Flüstern war.
    «Eunice», sagte ich. «Meine Wohnung. Mein Zuhause. Meine Geldanlage. In zwei Wochen werde ich vierzig, und ich habe nichts.»
    Ich wollte, dass sie «Du hast doch mich» sagte, aber das blieb aus. Ich zog mich in mich selbst zurück und wartete eine Stunde lang, denn ich wusste, ihr Hass auf mich würde irgendwann in eine Art Mitleid umschlagen. Und so war es. «Na komm, Thunfischhirn», sagte sie. «Gehen wir in den Park. Ich habe noch eine Stunde, bis ich zur Arbeit muss.»
    Hand in Hand gingen wir in den warmen, angenehmen Tag hinaus. Ich beobachtete sie. Erfreute mich an ihrem Entengang, der für gebürtige Südkalifornier typischen Unbeholfenheit als Fußgänger. Ich sah mich in den Zwillingskreisen ihrer Sonnenbrille und erfasste das gespiegelte Lächeln auf meinem eigenen Gesicht. Wie viele Leute auf dieser Welt haben nie erlebt, was ich im letzten halben Jahr erlebt habe? Nicht bloß die Liebe einer schönen Frau, sondern von ihr
bewohnt
zu sein.
    Der Central Park war voller Menschen aus mindestens zwei Kasten   – Touristen und Besetzer   –, die den Tag genossen. Die Bäume blieben an Ort und Stelle, doch die Stadtlandschaft war in ständigem Fluss. Die Wolkenkratzer, die den südlichen Teil des Parks einrahmten, sahen aus, als wären sie ihrer Geschichte müde, ihres kommerziellen Treibens entblößt, denn die oberen Geschäftsführer-Etagen thronten über leeren Lobbys und verwaisten Foodcourts aus Beton, wo Lamm-Kebabs und Humuspasten einst die sagenumwobenste Angestelltenschaft der Welt mit Brennstoff versorgt hatten. Bald schon würden sie durch schroffe, smarte Wohneinheiten für Asiaten, Araber und Wikinger ersetzt werden.
    «Erinnerst du dich», fragte ich Eunice, «an den Tag, als du aus Rom zurückgekommen bist? Das war der 17.   Juni. Dein Flugzeug ist um zwanzig nach eins gelandet. Und als Erstes sind wir hier im Park spazieren gegangen. Ich glaube, das war so gegen sechs. Es wurde schon dunkel, und wir haben das erste Vermögensschwachen-Camp gesehen. Diesen Busfahrer, der später getötet wurde. Aziz’ Armee. Was ist mit alldem passiert? Herrgott. Alles ändert sich so schnell. Na, jedenfalls sind wir mit der U-Bahn hierhergefahren. Ich habe Business-Class-Fahrscheine gelöst. Ich wollte dich
unbedingt
beeindrucken. Erinnerst du dich?»
    «Natürlich erinnere ich mich, Lenny», sagte sie barsch. «Wie kommst du darauf, dass ich das jemals vergessen könnte, Thunfisch?»
    Wir kauften bei einem Mann, der wie ein Marktschreier aus dem neunzehnten Jahrhundert gekleidet war, ein Eis, doch es schmolz uns schon in der Hand, ehe wir es aufmachten. Um die fünf Yuan nicht zu vergeuden, tranken wir es direkt aus der Papierverpackung und wischten uns dann die Vanille- und Schokoflecken gegenseitig aus dem Gesicht.
    «Weißt du noch», versuchte ich es wieder, «wohin wir im Park zuerst gegangen sind?» Ich nahm sie an der Hand und führte sie vorbei am dicht umlagerten Bethesda-Springbrunnen mit seinem
Engel der Wasser
, der mit einer Seerose in der Hand die winzigen Seen unter sich segnet. Als der vertraute Cedar Hill in Sicht kam, wandte sie sich so schnell ab, dass mein Schultergelenk knackte. «Was ist denn los?», fragte ich. Aber sie zog mich schon weiter, weg von meiner Nostalgie, und schritt in sichere emotionale Gefilde. «Was ist denn, Schatz?», versuchte ich es noch einmal.
    «Lass es, Lenny», sagte sie. «Du musst es nicht immer wieder aufs Neue versuchen.»
    «Wir können von hier verschwinden!», schrie ich fast. «Wir können nach Vancouver gehen. Wir kriegen eine Aufenthaltsgenehmigung in StabilitätsKanada.»
    «Aber wieso – damit du bei deiner
Grace
sein kannst?»
    «Nein! Weil es hier   …» Ich beschrieb mit dem zuckenden Arm einen Halbkreis von gut zweihundert
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