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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition)
Autoren: Alex Reichenbach
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Vereinbarung. Wir mussten eine Kaution auf Geibels Konto zahlen und zusagen, das Haus binnen zwei Wochen zu verlassen, falls er früher als geplant wiederkommen will. Aber der Werner Geibel hat mir schon am Telefon versichert, das wäre sehr unwahrscheinlich. Er würde bloß im Notfall zurückkommen, falls er krank wird. Und wahrscheinlich wolle er sogar auf Dauer in Thailand bleiben und dann könne man über eine reguläre Vermietung nachdenken.
    Bert meinte nach der Besichtigung: Der wird doch nicht krank, der ist vielleicht erst Anfang fünfzig. Hatte sich wegen Rückenproblemen frühpensionieren lassen, machte aber gegenüber meinem Mann Scherze, dass er überhaupt keine Rückenschmerzen mehr hat, seit er den Arbeitsstress los ist. Und dabei hat er so gezwinkert, als wäre es jedem klar, dass die Rückenprobleme erfunden waren. Mein Mann hat geschimpft, Leute wie der bekämen lebenslang ihre dicke Pension fürs Nichtstun, und ihm, der arbeiten will, gibt man keine Chance. Jedenfalls, nachdem wir die Kaution bezahlt hatten, bekamen wir einen Satz Schlüssel zugeschickt, und ab dem soundsovielten November um soundsoviel Uhr könnten wir einziehen, weil er dann weg wäre. Aber an dem Tag …»
    Sie schluckte. Winter sagte nichts und wartete, bis sie weitersprach.
    «Wir sind mit einem geliehenen VW-Bus hin. Wir hatten nicht viel, und das Haus war ja möbliert. Am Morgen hatten wir alles eingeladen. Und als wir dann ankamen, ist Bert zuerst alleine rein. Ich weiß nicht mehr, warum. Ich bin jedenfalls erst mal im Wagen sitzen geblieben. Ich war ja auch schon im siebten Monat, und mir ging es nicht immer so gut. Jedenfalls, so nach etwa fünf Minuten kam Bert wieder raus, und ich hab ihm gleich angesehen, da stimmt was nicht. Bert ist eingestiegen und hat gesagt: ‹Dieser unmögliche Typ, der ist noch nicht weg. Das hätte er uns doch sagen müssen. Angeblich fährt er jetzt übermorgen. Wir sollen übermorgen Nachmittag wiederkommen.›
    Wissen Sie, Herr Winter, ich hatte das all die Jahre vergessen. Also, dass wir vor dem Einzug einmal da waren und wieder fahren mussten. Aber in den letzten Tagen ist es mir wieder eingefallen. Jedenfalls, am übernächsten Tag ist Bert dann allein hingefahren und kam am frühen Abend zu mir mit den Worten, alles in Ordnung, wir können heute noch einziehen. Das sind wir dann auch, im Dunkeln. Und wir waren dann erst mal so glücklich. Also, so erleichtert, dass wir eine Wohnung hatten, sogar ein Häuschen mit ein bisschen Komfort. Und ich schwöre Ihnen, ich habe nichts geahnt. Das war eigentlich die schönste Zeit. Und dann kam Basti. Und bald schon die Angst, was werden soll, wenn wir ausziehen müssen. Bert hat hier und da gejobbt, aber es kamen immer höchstens ein paar Hunderter rein. Er wollte auch nichts richtig Schlechtes machen, Kellnern oder dergleichen. Er meinte, wenn er damit erst mal anfängt, bekommt er nie wieder was als Ingenieur. Und ich hatte ja Basti und war mit meiner Schwesternausbildung noch nicht fertig. Die hatte ich wegen Mutterschaft ja abgebrochen.
    Ein paar Wochen nach Bastis Geburt sagte mir mein Mann eines Abends, ganz ernst, er müsse mit mir sprechen. Es wäre ein Brief aus Thailand gekommen, von den Behörden, dass Werner Geibel dort an einem Herzinfarkt gestorben ist. Ich habe das sofort geglaubt. Der Geibel rauchte ja stark. Die Wohnung war voller Aschenbecher, als wir eingezogen sind. Es waren auch noch Kippen drin und massenweise welche im Müll.
    Und dann sagte Bert weiter: ‹Ich habe mich entschlossen, diesen Brief wegzuwerfen und erst einmal so zu tun, als hätten wir ihn nicht bekommen. Ansonsten müssten wir nämlich sofort hier ausziehen. Wir haben nichts in der Hand, keinen Mietvertrag, keine Zeugen, nichts.› Er könne sich erinnern, er hätte den Werner Geibel gefragt, ob er nicht seine Angehörigen vermissen wird, wenn er so lange in Thailand ist. Und darauf hätte der Werner Geibel gesagt, das sei für ihn kein Problem, er habe keine Familie, er sei Einzelkind und die Eltern seien beide tot und verheiratet sei er nie gewesen und den Arbeitskollegen sei er sowieso Schnurz, seit er pensioniert ist.
    Also meinte Bert, dass es wahrscheinlich niemandem auffallen wird, wenn Geibel sich nicht meldet. Und das war dann ja auch so. Niemand hat nachgefragt. Die Nachbarn wussten, dass der Geibel in Thailand war und dass er uns das Haus solange überlassen hat. Die haben sich nicht gewundert, als wir ihnen nach einem halben Jahr erzählt
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