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Stadtluft Macht Frei

Stadtluft Macht Frei

Titel: Stadtluft Macht Frei
Autoren: Joerg Schwarz
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die Siedlungen riss |16| nicht ab, neue Städte wurden gegründet. Die Attraktivität der Stadt schien grenzenlos zu sein. Wie ist das zu erklären?
    Waren aus Nah und Fern – Die Märkte
    Menschen müssen essen und trinken. Wer auf dem Land lebte, zumal in gebirgigen Regionen, die seit dem Hochmittelalter zunehmend aufgesiedelt wurden, konnte sich mit frischem, fließendem Wasser in der Regel problemlos versorgen; in der Stadt hingegen wurde vor dem Gebrauch von Wasser oftmals gewarnt. Mit dem Essen sah es schon anders aus. Immer wieder sorgten Missernten auf dem Land für große Hungersnöte. Tausende fielen diesen Nöten zum Opfer. Frühmittelalterliche Quellen berichten in diesem Zusammenhang sogar von Kannibalismus – für das christliche Mittelalter schier unglaublich, aber dennoch wahr. Zwar brachten neue landwirtschaftliche Produktionsmethoden wie die Dreifelderwirtschaft und neue technische Geräte wie der schollenwendende Pflug entscheidende Verbesserungen. Doch die Möglichkeit von Missernten und damit die Gefahr von Hungersnöten waren weiterhin stets präsent. Der Hunger war – letztlich bis zur Einführung der stärkehaltigen Kartoffel in der Neuzeit – nie wirklich gebannt. Allein im 12. Jahrhundert haben drei große Hungerkrisen den kompletten Westen Europas überzogen: 1125/26, 1144/46 und 1196/77. Der Hunger kam immer wieder. Er konnte die verschiedensten Ursachen haben. 1338 fraßen Heuschreckenschwärme, die sich wie Schnee auf den Feldern niederlegten, ganze Landschaften regelrecht kahl. 1446 im fränkischen Raum: Würmer zernagten die Wurzeln des Getreides in einem katastrophalen Ausmaß – mit schlimmen Folgen. Der Augsburger Chronist Burkard Zink berichtet, dass selbst alte Menschen sich nicht an ein vergleichbares Unglück erinnern konnten.
    Im Herbst des Jahres 1446 gab es so viele Krautwürmer wie ich sie noch nie in meinem Leben gesehen habe. Und auch alte Leute berichteten mir, dass es so etwas in diesem Ausmaß noch nie gegeben hätte. |17| Hier und überall im Land haben die Würmer die Wurzeln der Pflanzen in den Gärten fast vollständig zerfressen. Das Kraut sah aus wie
pösemreis
, die Würmer haben alles zerfressen. Als ich in diesem Jahr von Augsburg nach Venedig reiste, habe ich in Höllenstein, einem Ort bei Brixen, übernachtet. Und auch dort dasselbe: Die Würmer krochen in der Kammer die Wand hoch, sodass einem das kalte Grausen kam. Und auch in dieser Gegend habe ich nirgendwo Pflanzen auf den Feldern gesehen. Es war alles zerfressen. 2
    Die Stadt des Mittelalters war mit dem Land, das sie umgab, eng verzahnt. Missernten auf dem Land schlugen sich auch in der Lebensmittelversorgung der Stadt nieder. Doch schon im Mittelalter regierten die Gesetze von Angebot und Nachfrage. Missernten in der einen Region konnten durch Zulieferungen aus anderen Regionen aufgefangen werden. Umschlagplatz der Waren aus dem Land war in der Stadt der Markt. „Markt“ war nicht gleich „Markt“. Zu unterscheiden sind vor allem Jahrmärkte und Wochenmärkte. Die Jahrmärkte, für deren Abhaltung in der Regel ein spezielles königliches Privileg nötig war, wurden von Fernhändlern beliefert, die Wochenmärkte hingegen von Bauern und Händlern aus der Umgebung. Neben Jahrmärkten und Wochenmärkten bildeten eine dritte Kategorie oftmals die Spezialmärkte – Handelsplätze für Pferde, Milch, Holz oder Eisen. Sie lagen bis ins hohe Mittelalter zumeist noch außerhalb des Mauerrings der Stadt. Erst die Stadterweiterungen des 14./15. Jahrhunderts haben sie in das urbane Leben einbezogen. Die Wege zu diesen Plätzen verkürzten sich, sie lagen jetzt unmittelbar „vor der Haustür“. Noch einmal wurde die städtische Attraktivität dadurch erheblich erweitert.
    Wochenmarkt – Der Bauch der Stadt
    Die Wochenmärkte waren der eigentliche „Bauch“ der Stadt; sie waren ganz auf die Bedürfnisse der täglichen Küche der Stadtbewohner ausgerichtet. Neben Produkten, die nur die entsprechende Jahreszeit liefern konnte, gab es hier auch Dinge, die davon unabhängig waren |18| und die es das ganz Jahr über zu kaufen gab: Fleisch in hoch- oder minderwertiger Qualität, das die Händler vor den Augen der Käufer zerwirkten; Fisch aus Flüssen der Umgebung oder auch – in konservierter Form bis tief ins Binnenland hineingetragen – aus dem Meer; daneben Butter, Käse, Gewürze und Honig, das wichtigste Süßungsmittel des Mittelalters überhaupt. Doch nicht nur Lebensmittel, sondern auch Waren,
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