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Sprengstoff

Sprengstoff

Titel: Sprengstoff
Autoren: Stephen King
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auf dem nassen Fußboden ausgerutscht war und sich den Arm gebrochen hatte, haben die Tarkingtons ihr die Kranken-hausrechnung bezahlt und zehn Dollar Unterhaltskosten pro Woche, bis sie wieder arbeiten konnte. Und jedes Jahr Weihnachten haben sie in der Halle ein großes Weihnachtsbankett aufgebaut - der beste Huhnauflauf, den du je gegessen hast, mit Preiselbeeren und Brötchen und Pfefferminz- oder Schokoladenpudding zur Auswahl als Nachtisch. Don und Ray schenkten jeder Frau ein Paar Ohrringe, und wir Männer bekamen jeder eine neue Krawatte. Ich habe meine neun Krawatten immer noch bei mir zu Hause im Schrank hängen.
    Und als Don Tarkington im Jahre 1959 starb, habe ich eine davon auf seiner Beerdigung getragen. Sie paßte überhaupt nicht zum Anzug, und Mary hat mir deswegen die Hölle heiß gemacht, aber ich habe sie trotzdem getragen. Der Arbeits-platz war dunkel, und die Stunden waren lang, und die Arbeit war eine stumpfsinnige Plackerei, aber damals haben die Chefs sich noch um uns gekümmert. Wenn die Schleuder zu-sammenbrach, dann standen Don und Ray zusammen mit uns anderen mit aufgerollten Hemdsärmeln im Waschraum und halfen, die Wäsche mit der Hand auswringen. So war das damals in einem Familienbetrieb, Vinnie.
    Als Ralph also gestorben war und Ray Tarkington mir sagte, daß ich seinen Job nicht kriegen könne, weil er ihn schon jemand anderem gegeben hätte, da hatte ich keine Ahnung mehr, was eigentlich los war, und dann sagte Ray plötzlich zu mir: Mein Vater und ich möchten, daß du wieder aufs College gehst. Und ich sage, großartig - und wovon?
    Busmarken? Und er gibt mir einen Scheck über zweitausend Dollar. Ich schau’ ihn mir an und kann kaum glauben, was ich sehe. Ich sage, was ist das? Und er antwortet, ich weiß, das reicht nicht, aber ich bezahle deine Studiengebühren, dein Zimmer und deine Bücher. Den Rest kannst du dir dann im Sommer hier verdienen, einverstanden? Und ich frage ihn, ob es eine Möglichkeit gibt, ihm dafür zu danken. Und er antwortet, ja, drei Möglichkeiten. Erstens den Kredit zurückzahlen, zweitens die Zinsen bezahlen, drittens das, was ich gelernt habe, wieder in den Betrieb einbringen. Ich habe den Scheck mit nach Hause genommen und Mary gezeigt, und sie hat geweint. Hat einfach die Hände vors Gesicht geschlagen und geweint.«
    Vinnie sah ihn jetzt völlig verdutzt an.
    »Also bin ich 1955 wieder auf die Schule gegangen und habe 1957 meinen Abschluß gemacht. Danach bin ich zurück in die Wäscherei, und Ray machte mich zum Chef der Fahrer. Da habe ich dann neunzig Dollar die Woche verdient. Als ich meine erste Kreditrate abbezahlte, hab’ ich ihn gefragt, wie hoch die Zinsen seien. Er antwortet, ein Prozent. Was? frage ich, und er sagt, du hast richtig gehört. Hast du nichts zu tun? Daraufhin sage ich, doch, ich glaube, ich gehe mal lieber in die Stadt und hole einen Arzt, um deinen Kopf untersuchen zu lassen. Ray bekommt einen Lachanfall und sagt, ich soll zusehen, daß ich aus seinem Büro verschwinde. Die letzte Rate habe ich 1960 bezahlt, und weißt du was, Vinnie? Er hat mir eine Uhr geschenkt. Diese Uhr hier.«
    Er zog seine Manschette zurück und zeigte Vinnie seine Bulova mit einem goldenen Stretcharmband.
    »Er nannte es ein verspätetes Geschenk zürn, Collegeab-schluß. Ich habe nur zwanzig Dollar Zinsen für meine Ausbildung bezahlt, und der Teufelskerl schenkt mir eine Uhr im Werte von achtzig Dollar. Auf der Rückseite ist eine Gravur: Die besten Wünsche von Don & Ray. Die Blue Ribbon Wäscherei.
    Don war damals schon ein Jahr tot.
    1963 hat Ray mir dann deinen Posten zugeteilt. Ich sollte ein Auge auf die chemische Reinigung haben, ein neues Buchhaltungssystem einführen und die Zweigstellen beauf-sichtigen - doch damals waren es nur fünf, nicht elf. Das machte ich bis 1967, bis Ray mir meinen jetzigen Job gab. Vor vier Jahren mußte er dann verkaufen. Du kennst die Geschichte, du weißt, wie die Scheißkerle ihn unter Druck gesetzt haben. Es hat ihn zu einem alten Mann gemacht. Heute gehören wir also zu einer Gesellschaft, die außer uns noch ein Dutzend weitere Eisen im Feuer hat - Schnellimbißrestaurants, den Ponderosa-Golfclub, diese drei Schandflecken, die Discountsupermärkte, die Tankstellen und all dieser Mist. Und dieser Steve Ordner ist nichts weiter als ein hochgejubelter Vorarbeiter. Irgendwo in Chicago oder Gary gibt es einen Verwaltungsrat, der sich vielleicht eine Viertelstunde pro Woche mit dem Blue Ribbon befaßt.
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