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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Autoren: Jutta Voigt
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halb sechs Uhr war?« – Ringelnatz, zitiert Konrad.
    Weißt du noch, wie es halb sechs Uhr war, Konni?
    Die Nachtluft ist mild, die Palazzi stehen schwarz und schweigend, eine geschwungene kleine weiße Brücke hebt sich kokett und angeschlagen aus dem Dunkel. Schönheit am Rande des Todes. Venedig versinkt, die Jugend flüchtet aus der Stadt der Liebe, des Todes und der Zukunftsangst. Unsere Enkel, wenn sie so alt sind wie wir, werden die Serenissima nur noch in Gummistiefeln durchwaten können, in den Palazzi am Canal Grande werden keine La Traviata-Aufführungen für Touristen mehr stattfinden: »Wegen Einsturzgefahr geschlossen«.
    Konrad und Sylvia haben es nicht weit zu ihrer Ferienwohnung mit dem venezianischen Bett. Unterwegs folgen sie dem Klang heiserer Männerstimmen, warum eigentlich sind alle Italiener heiser? Vier alte Männer sitzen vor einer Osteria und singen Volare oho, Cantare, hohohoho. Die Serviererin, eine Lollobrigida der Strada Nuova, tanzt dazu. Arrivederci, Roma. Dass die alten Männer auf einer herbstlichen Straße in Venedig die alten Lieder singen, in ihrer Hochzeitsnacht, alles Cinecittà.
    Du bist mein Lebenslicht, sagt Konrad.
    Sylvie schläft in dem antiken Doppelbett, sie hatSchlafstörungen und braucht komfortable Verhältnisse, Konrad als Diener Franke liegt auf einer Pritsche neben der Küche, er schläft überall königlich. Man darf nicht zu viel erwarten von der Ehe, philosophiert Sylvie beim Zähneputzen, wenn man nicht zu viel erwartet, geht alles gut. Unter den Gratulationen ist eine SMS von Gloria, Sylvies Jugendfreundin, dreimal geschieden: Hast es richtig gemacht. Trotz alledem. Vielleicht finde ich ja auch noch einen für den Rest. LG Gloria. Sylvia fällt die Kalbsfüßige ein. Kalbsfüßige – so nennt sie pummelige Frauen mit kleinen Füßen in hochhackigen Pumps.

Der Erdbeerkorb
    Was nun die erste Lebenshälfte, die so viele Vorzüge vor der zweiten
    hat, also das jugendliche Alter, trübt, ja unglücklich
    macht, ist das Jagen nach Glück.
    Arthur Schopenhauer
    Ein neues Kleid hebt Sylvies Stimmung ungemein, sie ist dreiundzwanzig. Das Kleid ist hellblau, eng, kurz, maßgeschneidert. Es hebt hervor, was hübsch ist an ihr, voller Busen, schmale Taille. Sie trägt Pfennigabsätze, und sie läuft, als sei alles an ihr perfekt. Sie kann tun, als sei sie schön. Mit ihrer Freundin Gloria fährt sie nach Babelsberg, zu einer Party von Filmstudenten, die in runtergekommenen Villen Bohème spielen. Sylvies Laune ist in Vorfreude auf den Abend so himmelblau wie ihr Kleid, dazu flirrende Frühlingsluft. Fünf Jahre ist sie jetzt verheiratet mit Konrad, der auf Motivsuche in Potsdam ist, ganz in der Nähe. Ein Wochenende ohne Ehemann, spannend. Trotzdem will sie ihn anrufen, vielleicht kommt er nach, wenn er in Sanssouci fertig ist, sie kann das nicht, in seiner Nähe sein und keinen Kontakt zu ihm aufnehmen.
    Sie ruft im Interhotel Potsdam an, Konrad meldet sich nicht auf seinem Zimmer, die freundliche Dame von der Rezeption schaltet sich ein: Herr Ludens ist nicht da, aber ich sehe gerade seine Gattin, möchten Sie vielleicht Frau Ludens sprechen? Nein, danke, nein, sie legt auf, sie wird bleich. Was hast du, fragt Gloria. Larsen Rinström – Sylvie versucht zu lachen über die kleine Zote, zu jener Zeit ein häufig gebrauchtes Pseudonym für fremdgehende Ehemänner, LarsenRinström. Sie wird ihn in flagranti ertappen, sie muss ins Interhotel Potsdam.
    Sie fahren sofort hin, mit der Straßenbahn. In der Hotelhalle bleibt sie einen Moment stehen, als würde sie Anlauf nehmen: Da sind sie! Halt den Korb, Gloria! Sie will ihren Mann nicht mit einem Erdbeerkorb in der Hand dingfest machen, sie will nicht die lächerliche Figur der betrogenen Ehefrau abgeben. Sie hat die Erdbeeren unterwegs gekauft, weil sie in einem Land lebt, wo man Erdbeeren sofort mitnehmen muss, wenn es welche gibt, auch wenn man zur Trauung oder zur Beerdigung ginge. Sylvia durchquert entschlossen die Hotellobby, die im hinteren Teil in eine Brasserie mündet. Sie ahnt, wer die Frau ist, die hier als Konrads Gattin geführt wird, und geht, zitternd vor Wut und Verzweiflung, auf die Brasserie zu. Konrad sieht sie sofort, er steht vom Tisch auf und kommt auf sie zu, in seinem Gang liegt das gesammelte schlechte Gewissen des Fremdgängers, Glanz und Elend des Ehebruchs in den zwanzig Schritten, die sie trennen. Die Frau, es ist die Kalbsfüßige, bleibt geduckt vor ihrer Grillplatte sitzen.
    Sylvie
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