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Späte Heimkehr

Späte Heimkehr

Titel: Späte Heimkehr
Autoren: Di Morrissey
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sich. Unter seinen zusammengepressten Lidern begannen die Bilder, die er sich in den Büchern der Bibliothek angesehen hatte, plötzlich lebendig zu werden. In jeder dieser Szenen sah er sich selbst, und immer lachte er.
    Den Engeln oder den tanzenden Rentieren, die an Weihnachten über die im Mondenschein schlummernde Landschaft eilten, war es wohl kaum zu verübeln, dass sie bei dem großen Haus nicht Halt machten. Die Fenster blickten schwarz, und keine Kerze brannte darin, um sie willkommen zu heißen. Das Haus wirkte nicht einladend, es schien sich in sich selbst zurückzuziehen, sich von der Außenwelt abzuschirmen … versunken in Erinnerungen. Zwar war das düstere Herrenhaus nie ein fröhliches oder sonniges Heim gewesen, aber immerhin hatte darin einmal eine richtige Familie gelebt.

[home]
    Zweites Kapitel
    1953
    D ie Sonne strahlte auf das frisch gemähte Grün der eingezäunten Weide nieder, die als Spielfeld für das vierteljährlich stattfindende Kricketmatch der Graziers gegen die Townies diente. Aus der Ferne betrachtet wirkte es, als seien die weiß gekleideten Gestalten Schachfiguren auf einem Stück groben Flanellstoffs, der von Autos, Lastwagen, Pferden und den Ehefrauen, Freundinnen und Kindern in bunt gemusterten Kleidern farbig umsäumt wurde. Die Zuschauer saßen auf Wolldecken oder hockten auf Motorhauben, und manche schützten sich mit Sonnenschirmen vor der Hitze des späten Nachmittags. Die Bäume ließen ihre Blätter hängen, so schwül war es, und die Szenerie wirkte friedlich wie ein Ölgemälde, dem man den Titel »Sommernachmittag« geben könnte. Wenn von Zeit zu Zeit ein gut platzierter Sechserschlag den Ball ohne Bodenberührung außerhalb des Spielfelds landen ließ, richtete die Menge ihre Aufmerksamkeit auf das Spiel und applaudierte höflich. Der Doktor ließ dem letzten Schlagmann des gegnerischen Teams keine Chance und entschied das Spiel damit zuletzt für die Townies. Als die beiden Mannschaften vom Spielfeld schlenderten, wartete Phillip Holten bereits auf seinen hoch gewachsenen Sohn, der ihm mit großen Schritten entgegeneilte.
    »Nicht übel, Barney. Gutes Spiel«, lobte er und reichte ihm förmlich die Hand.
    »Danke. War ganz gut, obwohl wir verloren haben.«
    »Immer den Sieg im Auge, ohne den Spaß zu verlieren. Darum geht es beim Sport«, sagte Phillip Holten und wandte sich einem der anderen Spieler zu, um zu gratulieren.
    Barnard Holten wischte sich mit dem Handrücken über die feuchte Stirn und rieb ihn dann an seinen beigen Flanellhosen trocken, während er auf die kleine Gruppe von Frauen zusteuerte, die sich in der Nähe des Wagens der Holtens versammelt hatte. Seine Mutter stand nicht bei ihnen: Sie setzte sich ungern länger der Sonne aus und kam aus demselben Grund auch selten zu seinen Polospielen.
    Die Frauen, die sich immer noch über das Match unterhielten, musterten den gut aussehenden jungen Mann, der jetzt neben seinem Vater vor dem geöffneten Kofferraum des Autos stand. Phillip Holten war groß und kräftig gebaut, und wäre sein Gesicht nicht von der Sonne verbrannt und vom Wetter gegerbt gewesen, hätte er noch wesentlich vornehmer ausgesehen, als es dank seiner römischen Nase, den geschwungenen Augenbrauen und den scharf gezeichneten Lippen ohnehin schon der Fall war.
    Barnard hatte graugrüne Augen und war mit seinen vierundzwanzig Jahren größer und auch etwas schlanker als sein Vater. Im Gegensatz zu diesem hatte er auch kein rötliches, sondern sonnengebleichtes hellbraunes Haar. Sein Vater galt als ziemlich mürrisch, wohingegen Barney, wie er von allen genannt wurde, immer fröhlich und zu Scherzen aufgelegt war. Unter den Mädchen des Landkreises hatte er zahlreiche Verehrerinnen, und da sein Vater mit seinem Besitz Amba eine der einträglichsten Schaffarmen der Gegend besaß, war er außerdem noch eine gute Partie.
    Spieler und Zuschauer hatten sich inzwischen vor der provisorisch aufgebauten Teeküche eingefunden, wo freiwillige Helferinnen heißen Tee verteilten. Alle taten sich an den Platten mit selbst gebackenen Torten, Keksen, süßen Brötchen und warmem, mit Butter bestrichenem Teegebäck gütlich, fachsimpelten über das Spiel und trafen Verabredungen für den Abend. Doch schon bald verlagerte sich das Gesprächsthema auf den rekordverdächtigen Wollpreis und die Frage, wie lange der Wirtschaftsboom wohl noch anhalten würde.
    »Das Geschäft mit der Wolle ist so sicher wie nur irgendwas, Frank. Ohne Wolle wäre das Land
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