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Soraja - Im Licht des Mondes

Soraja - Im Licht des Mondes

Titel: Soraja - Im Licht des Mondes
Autoren: Melissa Ratsch
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des Kräutersuds wahrnahm. »Katara, sag, mischst du
schon wieder einen Schlaftrunk für die Nachbarin?« Dann tastete er
nach einem Stuhl an der Wand.
        Katara lachte glucksend auf. »Ach ja! Diese
Hexe bringt ihren armen Mann noch ins Grab, wenn sie ihn noch lange
mit diesem Zeug vergiftet.« Schlurfend begab sich die Greisin
wieder zu ihrem Kessel und rührte ein einige Male um. »Ich habe
zwar schon versucht, ihr das zu sagen, aber sie hört ja nicht auf
mich.« Sie zuckte mit den Achseln. »Und außerdem, wenn die
Bezahlung stimmt, gehe ich das Risiko ein.« Mit einem hämischen
Grinsen, das ihre spärlichen Zahnreihen freilegte, griff sie in den
prall gefüllten Einkaufskorb.
        Soraja stand noch immer im Türrahmen. Katara
war schon eine alte Hexe, aber sie mochte sie. Kopfschüttelnd legte
sie ihren blauen Umhang ab und hängte ihn neben die
Eingangstür.
     
        Wieder in Gedanken versunken ging Soraja die
schmale Treppe hinauf in den ersten Stock – ihr ganz privates
Rückzugsgebiet. Sie schüttelte sich innerlich bei dem Gedanken an
die überfüllten Straßen. Wie sehr sie solche Menschenansammlungen
hasste! Vor allem an Markttagen. Doch sie konnte Quentin nicht
allein gehen lassen. Und dass Katara sich selbst versorgte, daran
war ebenfalls nicht zu denken. Dieses alte Hutzelweib konnte ja
nicht einmal alleine von ihrem Sessel aufstehen, ohne sich auf
ihren Stock zu stützen. Soraja schüttelte resigniert den Kopf und
schob sich eine dunkle Haarsträhne hinter ihr Ohr. Eine vertraute
Geste, die sie schon gar nicht mehr bemerkte.
        Das Knarren der alten Holzdielen erfüllte den
Raum, als die junge Frau ihr Zimmer betrat. Die wenigen
Sonnenstrahlen, die durch die geschlossenen Leinenvorhänge traten,
brachten den Staub in der Luft zum Leuchten. Wie kleine
Glühwürmchen schwebten die aufgewirbelten Staubflocken über dem
Boden. Das Zimmer wirkte düster und wenig einladend, doch hier war
ihr Zuhause. Das alte Ehebett mit seinen Hundert Lagen Decken, die
kleine Kommode, die eher einem alten Stück Käse glich, da sich die
Holzwürmer in all den Jahren daran gütlich getan hatten. Das
Gewicht des alten Spiegels würde das gute Stück wohl nicht mehr
lange tragen können. Doch das wohl wichtigste Möbelstück in diesem
Zimmer war der große Schrank. Er nahm beinahe eine ganze Wandseite
ein. In ihm ruhten die Fesseln der Gesellschaft. Verächtlich
rümpfte Soraja die Nase.
        Pelitona war eine Stadt der Kasten. Die
Menschen wurden nach ihrer Geburt, ihrem Vermögen oder nach ihren
Tätigkeiten einer der neun Schichten zugeteilt. Und um ihren Rang
zu erkennen, wurden ihnen Farben zugewiesen. Dadurch konnte jeder
auf den ersten Blick feststellen, wen er vor sich hatte. Vorurteile
waren somit an der Tagesordnung.
        Soraja stieß einen tiefen Seufzer aus und
schloss die Tür hinter sich. Zielsicher ging sie durch den düsteren
Raum und verschwand im Nebenzimmer. Die Fenster wollte sie auf
keinen Fall öffnen. Der Lärm und der Gestank der Straßen waren ihr
heute zuwider.
        ›Unter diesen Umständen kann sich ja kein
normaler Mensch konzentrieren!‹ Bei diesem Gedanken lachte Soraja
jedoch sarkastisch auf. ›Ich vergaß, ich bin ja nicht normal …‹
        Sie betrat den kleinen Raum hinter ihrem
Schlafzimmer und fühlte, wie eine Last von ihren Schultern
rutschte. In ihrem Arbeitszimmer beeinflusste sie nichts. Die
Fenster zeigten in den kleinen Innenhof des Hauses – eine Oase der
Ruhe. Mit einem entspannten Ausdruck auf ihrem hellhäutigen Gesicht
öffnete Soraja die schmalen Fenster und sog gierig die frische Luft
in ihre Lungen. Keine Wolke aus Verwesungsgestank und dem Geruch
ungewaschener Leiber schlug ihr entgegen, sondern einzig der zarte
Duft fruchtbarer Erde und blühender Pflanzen.
        Unter sich konnte sie Katara und Quentin in
der Küche reden hören. Soraja drehte sich wieder um und ließ ihren
Blick durch den Raum wandern. Es war eigentlich ein geräumiges
Zimmer, doch durch die ganzen Schränke, Kommoden und Tische blieb
nur noch wenig Platz. Langsam senkte sie den Blick auf ihre Hände,
die auf ihrem Kleid ruhten – ihrem blauen Kleid, dem Zeichen für
eine Seherin. Auch Katara trug ein blaues Kleid, auch wenn sie auf
das Mieder verzichtete. »Weißt du, mein Kind, wenn du mal so alt
bist wie ich, braucht es schon mehr als ein unbequemes Mieder, um
die Brüste oben zu halten«, pflegte die Alte immer zu sagen.
        Soraja musste schmunzeln.
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