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Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)

Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)

Titel: Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
Autoren: Kenneth Oppel
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eine gefiederte Schlange, ein starres Augenpaar ohne Pupillen. „Wer bin ich?“, streifte die Stimme fragend seine Ohren.
    Goth fühlte Eiseskälte. Er wusste die Antwort, aber er wollte sicher sein. Er wollte Beweise. „Zeige dich“, sagte er kühn.
    Ein Lachen rollte durch den Raum. „Nicht, bevor die Sonne tot ist, Goth. Dann wirst du mich in meiner ganzen Herrlichkeit sehen.“
    „Die Sonne tot?“, fragte er verwirrt.
    „Wer bin ich, Goth?“
    „Ich kenne dich“, sagte er und zögerte, hatte plötzlich Angst, den Namen auszusprechen, nun wo er unmittelbar in seiner Gegenwart war.
    „Sag mir’s. “
    Er schluckte. „Cama Zotz.“
    „Jaaaa.“ Die Antwort kam wie ein nasses Schmatzen. „Die Menschen jagen dich.“
    „Ich weiß. Aber sie werden mich nicht fangen.“ „Lass dich fangen.“
    „Aber sie sind unsere Feinde, Zotz, mein Herr. Sie haben mich wie einen Sklaven behandelt. Sie verhöhnen dich.“
    „Sie denken, sie benutzen dich, aber du wirst sie benutzen.“
    „Ich verstehe nicht.“
    „Du wirst es verstehen.“
    Für einen Augenblick sagte Goth gar nichts.
    „Bist du mein Diener, Goth?“ Die Stimme war nicht mehr sanft, sondern schnitt ihm in die Ohren, fetzte ihm Licht durch den Kopf.
    „Ja, Zotz, mein Herr.“
    „Dann führe meinen Befehl aus, und du wirst König.“ Und dann war es, als ob plötzlich jedes Geräusch aus der Höhle herausgesaugt, all die silbernen Echos aufgelöst wären, und Zotz war verschwunden. Goth war allein. Seine Atmung beruhigte sich. Es herrschte vollkommene Stille, er fragte sich, ob er das Gespräch nicht nur geträumt hatte.
    Sich selbst von den Menschen fangen lassen – das ergab keinen Sinn! Das waren doch die gleichen Menschen, die ihn in seiner Heimat geschnappt und nach Norden in ihren künstlichen Dschungel gebracht und eingesperrt hatten. Der Mann, der ihn immer beobachtet und mit Nadeln gestochen hatte. Sollte er dahin zurückkehren? Was könnte das denn bringen?
    Er schüttelte den Kopf und warf Echostrahlen durch die leere Höhle. Er hatte schon früher Träume gehabt, auch Erscheinungen. Aber nie eine so lebendige, keine, in der er den Atem von Zotz auf dem Gesicht gespürt und die Wirbel seiner Gegenwart gesehen hatte. Konnte Zotz ihn wirklich so weit im Norden finden? Vielleicht war es doch nicht mehr als ein wirrer Traum. Schon kam er ihm ganz unwirklich vor.
    Er konnte nicht länger gegen den Schlaf ankämpfen. Er versank in lodernden Träumen vom Dschungel, so wirklich, dass er die Erde riechen konnte, den feuchten Stein der Königspyramide. Überall um ihn herum schwebten die Vampyrum-Fledermäuse, aber irgendwie wirkten sie kleiner, magerer. Auch mit dem Dschungel war etwas nicht in Ordnung: Bäume, Schlingpflanzen und Farnwedel waren allesamt verkohlt und qualmten.
    Er fiel in Schlaf und dämmerte wieder wach, eingehüllt in seine Träume. Er verlor jedes Zeitgefühl. Er hörte sich selber vor Schmerz aufschreien und bemerkte, dass er wütend an den Ringen der Menschen zerrte, die seine Unterarme schmückten. Oder träumte er das nur? Alle Ringe bis auf einen ließen sich abreißen, und das war der, den der Mann ihm angelegt hatte damals in dem künstlichen Dschungel. Diesen einen konnte er nicht losreißen.
    Wiederum träumte er. Diesmal war Schatten in seinen Klauen gefangen und an den Boden genagelt. „Ich werde dein schlagendes Herz fressen“, sagte Goth zu ihm. Er sperrte das Maul weit auf und schnappte zu. Er erwachte. Diesmal wusste er, dass er ganz und gar wach war. Wie lange hatte er geschlafen? Eine Sekunde? Einen Tag? Er hatte überhaupt keine Vorstellung. Er verschob die Flügel und bemerkte sofort, wie anders sie sich anfühlten. Er warf ein Klangnetz darüber und schaute nach.
    Alle Ringe der Menschen außer einem waren weg. Und die Wunden an den Flügeln waren verheilt.
    Goth flog aus der Höhle, schnitt enge Kreise in die Luft und suchte den Horizont ab. Süden. Der Dschungel, seine Heimat. Alles zog ihn dahin.
    In seinem Kopf aber hallten die Worte von Zotz nach.
    Er musste gehorchen. Er war ein Fürst der königlichen Familie, der Vampyrum Spectrum, und musste den Befehlen des Fledermausgottes Folge leisten. Und was war mit diesem Versprechen, König zu werden? Er breitete die Flügel aus, testete sie. Unglaublich! Vorher waren sie vernarbt und versengt gewesen, an manchen Stellen war die Haut von den Knochen geschmolzen. Er hatte geglaubt, nie mehr völlig wiederhergestellt zu sein.
    Und nun war er
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