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Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Sommer in Maine: Roman (German Edition)

Titel: Sommer in Maine: Roman (German Edition)
Autoren: J. Courtney Sullivan
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meine Tochter«, sagte er mit sanfter Stimme. »Unser Weg ist von Gott vorgezeichnet. Wir müssen an diesen Weg glauben und dürfen nichts tun, das uns von ihm abbringen könnte.«
    Hatte er sie auch richtig verstanden? Vielleicht hatte sie sich undeutlich ausgedrückt.
    »Ich habe von gewissen Mitteln und Wegen gehört, mit denen man es verzögern kann«, fing sie nach Worten suchend an. »Ich weiß, dass die Kirche das nicht gutheißt –«
    »Die Kirche verbietet es«, sagte er, und das war sein letztes Wort.
    Nachdem sie auf dem Parkplatz kurz geweint hatte, ging sie zur Arbeit. Daniel erfuhr nie davon.
    Die jetzige Schwangerschaft dauerte schon sechs Monate an. Alice hatte panische Angst. Sie schlich umher und traute sich kaum, tief einzuatmen. Abends brauchte sie einen kleinen Whiskey, um einschlafen zu können. Sie rauchte doppelt so viel wie sonst und musste nachmittags um den Block gehen – dreimal schon hatte ihr Chef sie ermahnt, weil sie während der Arbeitszeit vom Schreibtisch verschwand. Mister Kristal war richtig gemein gewesen. Vermutlich hatte er ihren Zustand erraten und wusste aus Erfahrung, dass sie sowieso bald kündigen würde.
    Am Samstag, nachdem Daniel das Grundstück gewonnen hatte, fuhren sie nach Cape Neddick. Alice wusste nicht, was sie erwartete. Sie war nur einmal als junges Mädchen auf einen Tagesausflug mit ihren Geschwistern in Maine gewesen. Zu sechst hatten sie sich in den Pontiac ihres Vaters gequetscht und waren mit offenen Fenstern über den Highway gedonnert. Mittags hielten sie an einer Fischbude und fuhren dann nach Osten, bis sie ein ruhiges Stück Strand entdeckten. Die Jungs ließen Steine springen, während Alice und Mary im Sand saßen und plauderten. Alice zeichnete die Dünen in ihr Tagebuch. Sie wussten nicht genau, wo sie waren, und blieben nicht lange. Eine Übernachtung konnten sie sich nicht leisten, nicht einmal in einem der billigen Motels am Autobahnrand.
    Seitdem waren nur wenige Jahre vergangen, aber Alice kam es vor, als sei es in einem anderen Leben gewesen.
    Daniel lenkte den Wagen durch das Zentrum von Ogunquit, vorbei an einem Motel, einem Tanzlokal, der Drogerie Perkins und dem Leavitt Lichtspielhaus, wo um zwei Uhr eine Vorstellung von Urlaub in Hollywood beginnen sollte. Sie fuhren immer geradeaus und kamen am steinernen Gebäude der Bibliothek, der Baptistenkirche und einer Reihe vornehmer Hotels vorbei, bis sie die Landspitze erreichten, wo Hummerfallen an Fischerhütten lehnten und Fischerboote auf dem Wasser schaukelten. Die Landzunge war auf drei Seiten vom Meer umgeben: Zu ihrer Linken und geradeaus sahen sie die felsige Atlantikküste, und rechts lag eine kleine Bucht mit einer Fußgängerbrücke, die zur anderen Seite hinüberführte. In einen Stein am Fuß der Brücke waren die Worte PERKINS BUCHT gemeißelt.
    Alice zog die Augenbrauen hoch. »Heißen denn hier alle Perkins?«
    »So ungefähr«, sagte Daniel und war sichtlich stolz, seine Ortskenntnisse unter Beweis stellen zu können. »Ned meint, dass den Perkins der halbe Landstrich gehört. Die sind auch Fischer, wie Neds Familie. Ned war zu Schulzeiten mit einer der Perkinscousinen zusammen.«
    »Die Glückliche«, sagte Alice.
    »Na, na«, sagte Daniel. »Ned hat mir sogar einen Reim aus der Gegend beigebracht. Bist du bereit?«
    Bevor Alice protestieren konnte, sagte er ihn auch schon mit singender Stimme und in seiner besten James-Cagney-Imitation auf:

    Ein Perkins hat den Supermarkt
    Ein Perkins hat die Bank
    Ein Perkins füllt Benzin in jeden Autotank.
    Ein Perkins hat die Zeitschriften
    Ein anderer den Gin,
    Egal, was du gerade brauchst, zu Perkins musst du hin.
    Ein Perkins greift ins Portemonnaie
    Uns allen alle Tag
    Und wenn ich sterb, so denke ich,
    Lieg ich in ’nem Perkinssarg.
    Alice verdrehte die Augen. »Danke, Schatz. Ich hab’s begriffen.«
    Sie wendeten und bogen auf die Shore Road ein. Daniel fuhr langsam und sah zu beiden Seiten aus dem Fenster. Linker Hand blitzte das Meer hinter einem Pinienwald. Hier und dort standen inmitten grüner Wiesen Schindelhäuser mit der amerikanischen Flagge im Vorgarten. Auf den Weiden grasten Kühe.
    »An dieser Straße muss es irgendwo sein«, sagte Daniel.
    Die neue Landkarte lag aufgefaltet auf Alices Schoß. Daniel war davon ausgegangen, dass seine Frau sie lesen konnte, aber Alice erinnerten die Flächen und Linien nur an das Gewirr aus Venen und Muskeln in ihrem alten Biologielehrbuch. Sie wartete darauf, dass er sie anfuhr
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