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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt
Autoren: Johan Theorin
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hier«, erzählt er. »Das war ein junger Mann, ein Sexualverbrecher, dem es gelungen war, aus heruntergefallenen Ästen in einer Ecke des Parks eine klapprige Leiter zu basteln. Er ist dann einfach über den Zaun geklettert und verschwunden.« Högsmed blickt wieder zu den Reihenhäusern hin­über und fährt fort: »Die Polizei hat ihn am selben Abend in einem Park aufgegriffen, da hatte er bereits Kontakt zu einem kleinen Mädchen aufgenommen. Offenbar saßen sie auf einer Parkbank und aßen Eis.«
    Der Doktor sieht zu dem Elektrodraht auf der Mauerkrone hinauf und fügt hinzu: »Danach sind die Sicherheitsvorkehrungen noch mehr verschärft worden, aber ich glaube nicht unbedingt, dass etwas Gefährliches passiert wäre. Manchmal suchen Ausbrecher die Nähe von Kindern, um eine Art Geborgenheit zu spüren. In ihrem Innern sind sie klein und ängstlich.«
    Jan erwidert nichts, sondern geht nur neben dem Doktor den Weg an der Mauer entlang. Er hat richtig geraten, sie sind unterwegs zu dem Holzpavillon, der nördlich des Krankenhauses liegt. Die »Lichtung«.
    Kurz vor der Einrichtung wird die Mauer von einem hohen Zaun abgelöst, der oben ebenfalls mit Elektrodraht versehen ist.
    Die Vorschule selbst ist lediglich von einem kleinen Holzzaun umgeben. Dahinter kann Jan mehrere Schaukeln, ein rotes Spielhaus und einen Sandkasten sehen – aber keine Kinder. Wahrscheinlich sind sie im Pavillon.
    Â»Wie viele Kinder gehen momentan hierher?«, fragt er.
    Â»Ein Dutzend«, antwortet Högsmed. »Drei Kinder wohnen derzeit aus unterschiedlichen Gründen rund um die Uhr hier, sechs oder sieben kommen tagsüber. Und dann haben wir noch ein paar, die nur hin und wieder hier betreut werden.« Er öffnet seine Mappe und nimmt ein Papier heraus. »Ach, übrigens, hier haben wir ein paar Regeln für den Umgang mit den Kindern. Die können Sie auch jetzt gleich lesen.«
    Jan nimmt das Papier entgegen. Er bleibt vor dem Zaun der Vorschule stehen und beginnt zu lesen:
    Personalregeln
    1) Die Kinder der »Lichtung« und die Patienten der Psychiatrischen Klinik Sankt Patricia müssen von­einander ferngehalten werden. Das gilt RUND UM DIE UHR, abgesehen von den individuellen Besuchszeiten bei den Eltern der Kinder.
    2) Das Personal der Vorschule hat KEINEN ZUTRITT zu den Pflegestationen des Krankenhauses. Ausschließlich die administrativen Räume des Krankenhauses dürfen vom Vorschulpersonal besucht werden.
    3) Das Vorschulpersonal ist verantwortlich dafür, die Kinder durch die Schleuse zwischen der »Lichtung« und der Besuchsabteilung des Krankenhauses zu begleiten. Die Kinder dürfen NICHT allein gehen.
    4) Das Personal darf NICHT, unter keinen Umständen, den Besuch im Krankenhaus mit den Kindern besprechen oder Fragen über die Eltern der Kinder stellen. Solche Gespräche dürfen ausschließlich von Ärzten oder Kinderpsychologen geführt werden.
    5) Ebenso wie die Angestellten des Krankenhauses unterliegt das Vorschulpersonal der absoluten SCHWEI­GEPFLICHT in Bezug auf alles, was die Psychiatrische Klinik Sankt Patricia betrifft.
    Ganz unten ist eine gestrichelte Linie, und als Jan aufsieht, hält Högsmed ihm einen Stift entgegen.
    Er nimmt ihn und schreibt seinen Namen auf die Linie.
    Â»Gut«, sagt Högsmed. »Ich wollte Ihnen das gern jetzt schon vorlegen ... Jede Vorschule hat ihre eigenen Regeln, aber das kennen Sie ja, nicht wahr?«
    Â»Natürlich.«
    Doch derartige Regeln sind Jan bisher noch nie begegnet. Und die Order der Klinikleitung ist deutlich:
    Schweige über Sankt Psycho.
    Kein Problem. Jan war schon immer gut darin, Geheimnisse für sich zu behalten.

Luchs
    Jan hatte als Zwanzigjähriger begonnen, in der Tagesstätte »Luchs« zu arbeiten, in demselben warmen Sommer, in dem Alice Rami ihr Debütalbum herausbrachte – diese beiden Ereignisse gehörten für ihn zusammen. Er hatte die Platte in einem Schaufenster entdeckt, hatte sie gekauft, mit nach Hause genommen und wieder und immer wieder abgespielt. Das Album hieß Rami und August , aber August war keine Person, sondern ihre Band, die aus zwei Jungs am Bass und am Schlagzeug bestand. Es gab ein Bild von ihnen zusammen mit Rami, zwei Jungs mit schwarzem, struppigem Haar, und sie stand mit ihren engelsgleich weißen Locken zwischen ihnen. Jan sah das Bild an und fragte sich,
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