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Sklaverei

Sklaverei

Titel: Sklaverei
Autoren: Lydia Cacho
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diskutiert, ob Frauen in der Türkei Schleier tragen sollen oder nicht. Sie halten das vielleicht für Machismo [ich hatte nichts dergleichen geäußert], aber es ist eine gute Sache, denn dank des Schleiers können orthodoxe Frauen das Haus verlassen. Es ist eine feministische Maßnahme«, versicherte er mir. »Das sind Bräuche, die leicht falsch interpretiert werden können, wenn man sie nicht versteht«, erklärte er und warf seinen Zigarettenstummel zum Fenster hinaus. »Es gibt dreitausend registrierte Sexarbeiterinnen in der Türkei. In den staatlichen Bordellen, die auf drei Gebäude verteilt sind, arbeiten 131 volljährige Sexarbeiterinnen. In illegalen Bordellen in Privathäusern arbeiten Ausländerinnen ohne Aufenthaltserlaubnis.« Der Arzt erklärte mir, wie der Sextourismus funktionierte. Darin unterschied sich die Türkei nicht vom Rest der Welt: In Fünf-Sterne-Hotels mieteten reiche Klienten teure Callgirls; Gegenden mit Touristen oder Soldaten seien immer ein Magnet für die Prostitution. Er konnte die Zahlen nicht belegen, aber er meinte, nach verlässlichen Quellen gebe es rund 100   000 illegale Prostituierte in der Türkei. In Çokars Betreuungseinrichtung, die im Jahr 2005 eröffnet wurde, wurden in einem Zeitraum von vier Jahren rund 400 Opfer des Menschenhandels aufgenommen. In keinem der Fälle habe es Hinweise auf »schwere körperliche Misshandlungen« gegeben, wohl aber Hinweise auf psychische und sexuelle Gewalt. Die Menschenhändler spritzten den Frauen einmal im Monat Antibiotika, um ihre Kunden zu schützen, die sich üblicherweise weigerten, Kondome zu verwenden. Diese Maßnahme bereite den Frauen erhebliche gesundheitliche Probleme, da sie gegen die Antibiotika immun würden.
    »Die Hälfte aller Frauen, die illegal in die Türkei kommen, enden in den Netzwerken der Prostitution.« Die IOM berichtet ihrerseits, in fünf Regionen des Landes seien jugendliche Sexsklavinnen aus China, den Philippinen und Sri Lanka befreit worden.
    Die Doppelmoral ist offensichtlich. Die Türkei ist auch für die Prostitution von Transvestiten und Transsexuellen bekannt, die ihren eigenen Tourismus anlocken, doch in den Augen des Staates handelt es sich hier um »Sünder«. Das öffentliche Bekenntnis zur Homosexualität steht unter Strafe, doch in den illegalen Bordellen bieten schätzungsweise zweitausend Transvestiten sexuelle Dienstleistungen an, und die Kunden können sogar mit Kreditkarten zahlen.
    Ich fragte Çokar, was er von der Legalisierung der Prostitution halte, und er erwiderte, ein Verbot sei seiner Ansicht nach keine Option für die Türkei. »Für unsere Organisation ist die Prostitution eine Form der sexuellen Gewalt gegen Frauen, doch unter den gegenwärtigen Bedingungen ist sie auch eine Form des Überlebens. Wir unterstützen die Prostituierten als Menschen, aber was wir nicht unterstützen, ist das Geschäft mit der Prostitution.« Çokar meint, ein Verbot sorge nur dafür, dass die Zwangsprostitution zunehme. Als ich ihn fragte, ob der Handel mit Frauen in der türkischen Kultur geduldet werde, schwieg er. Als Antwort gab er mir eine Informationsbroschüre seiner Organisation und sprach über ein Programm zum Schutz vor Aids.
     
    Dr. Çokar hatte mir erklärt, dass sich die Frauen aus freien Stücken prostituierten, aber nach Ansicht von Mahmut ist das genaue Gegenteil der Fall. Seiner Meinung nach gingen die wenigsten freiwillig auf den Strich. Die Mehrheit der Frauen komme in die Türkei, weil sie eine menschenwürdige Anstellung als Kellnerin oder Haushaltshilfe suchen. Die Polizei bestätigt, dass kaum eine Ausländerin als freie Prostituierte in der Türkei arbeitet, mit Ausnahme der Frauen, die zu Geliebten von verheirateten Männern werden und von diesen Unterhalt erhielten. Davon gebe es nicht wenige: Türkische Quellen bestätigen, dass in der Türkei und den meisten muslimischen Staaten die Doppelmoral die Prostitution und die Untreue fördert.
    Nach dem letzten Bericht des Protection Project der Johns Hopkins University sind in der Türkei rund zweihundert Schlepperbanden aktiv, die sich auf Frauen und Mädchen spezialisieren. Nach Angaben der IOM wurden zwischen 1999 und 2010 eine Viertelmillion Menschen zu verschiedenen Zwecken in die Türkei verschleppt – überwiegend Frauen aus Aserbaidschan, Georgien, Armenien, Russland, der Ukraine, Montenegro, Usbekistan und Moldawien. Dem sollte ich hinzufügen, dass die IOM die größten Erfolge bei der Entdeckung und
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