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Sinnliche Maskerade

Titel: Sinnliche Maskerade
Autoren: Jane Feather
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auch wirklich fest verschlossen war, und ging dann hinüber zum langen Spiegel, um ihr Äußeres zu betrachten. Ihre Erscheinung war immer noch in Ordnung. Nichts war ungehörig oder widerspenstig. Der Honorable Peregrine hatte sicherlich auch nichts Ungewöhnliches entdecken können. Das Spiegelbild zeigte ein geducktes Mäuschen mittleren Alters in einem altbackenen Kleid aus Kammgarn in unbestimmbarer Farbe und den unverkennbaren Leberfleck, der ihre Wange entstellte.
    Wieder einmal wurde sie von einer Welle empörter Niedergeschlagenheit durchflutet. Nein, so wollte sie nicht aussehen. Was hätte der Honorable Peregrine nur gedacht, wenn er gesehen hätte, wie sie wirklich war? Plötzlich erfüllte die unvernünftige Sehnsucht ihr Inneres, ihm zu zeigen, dass das, was sie jetzt verkörperte, nichts als eine Scharade war. Mit einem leise gemurmelten Fluch zog sie sich die Nadeln aus ihrem Haar, schüttelte die streng geflochtenen und im Nacken aufgebundenen Zöpfe frei und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar, um das Wirrwarr zu glätten.
    Kurz darauf fragte sie sich, warum um alles in der Welt es sie überhaupt störte, dass jemand, der ihr vollkommen fremd war, in ihr nichts als eine hässliche alte Frau in einem schäbigen Kleid sah. Selbst wenn sie es abstoßend fand, triumphierte sie doch wegen des Erfolgs, den sie mit ihrer Verkleidung genoss, und empfand ein willkommenes Gefühl der Überlegenheit gegenüber all denen, die sie zu täuschen vermochte. Was also war anders beim Honorable Peregrine? Nicht dass es mich auch nur im Mindesten interessiert, beschwor sie sich eifrig. Nur der Plan zählte, und dieser Plan war es, den sie niemals aus den Augen verlieren durfte.
    Sie rückte näher an den Spiegel und betrachtete eindringlich die grauen Strähnen, die sie kunstvoll in die kastanienbraune Masse eingewoben hatte. In ein oder zwei Tagen wäre eine Neufärbung nötig. Alexandra knöpfte ihr Kleid auf, ließ es auf die Knöchel sinken und löste die Schnüre des kleinen Kissens zwischen ihren Schulterblättern. Dann setzte sie sich an die Frisierkommode und reinigte sich das Gesicht mit einem weichen Tuch, das sie in das Wasser im Krug tunkte. Die dunklen Augenringe waren mit einem Wisch verschwunden, während das Muttermal ein wenig länger brauchte. Aber am Ende betrachtete Alexandra Douglas wieder ihr eigenes Gesicht im Spiegel und nicht das von Mistress Alexandra Hathaway.
    Es war erleichternd, sich selbst wieder zurückzuhaben, wenn auch nur für eine Nacht. Kurz nach Morgengrauen würde der ganze mühselige Vorgang aufs Neue beginnen; aber im Moment spürte sie, wie die Anspannung, die die Täuschung mit sich brachte, von ihr abglitt, sobald die Verkleidung abgelegt war.
    Sie stand auf, schlüpfte in eine wollene Nachtjacke und zurrte den Gürtel fest, bevor sie sich ein kleines Gläschen Madeira aus der Flasche einschenkte, die sie unten in ihrem Schrank versteckt hatte. Es wäre nicht klug, wenn die Dienstboten entdeckten, dass Sir Stephens Sekretärin und Bibliothekarin ein heimlicher Schluckspecht war. Nicht dass sie sich jemals mehr erlaubte als nur ein winziges Schlückchen zur Nacht. Nach den Anstrengungen des Tages half es ihr, sich zu entspannen, und es lockerte die strikte Beherrschung, mit der sie jede Minute an sich halten musste, die sie außerhalb der Sicherheit ihres Schlafzimmers in einer Ecke des Hauses verbringen musste.
    Alex setzte sich auf die Fensterbank und blickte über den Rasen auf den silbrigen Schimmer des vom Mond erhellten Meeres. Es war eine schöne Nacht. Aber schon bald würde das Laub sich verfärben und von den Ästen fallen, und der winterliche Wind würde kräftig vom Meer her blasen. Die Winter in Combe Abbey hatte sie immer geliebt, die frostigen Felder, die nackten Bäume, die sich im böigen Wind bogen, den Geruch der Holzscheite, die in den großen Kaminen loderten. Nachdem sie und ihre Schwester aus dem Reich ihrer Kinderfrau ausgezogen waren, hatte ihr Schlafzimmer vorn im Haus gelegen; Sylvias gleich nebenan. Sir Stephens Ehefrau Lady Maude hatte die beiden Zimmer mittlerweile als Gästezimmer eingerichtet. Aber Alex war zufrieden mit ihrem kleinen Eckzimmer, denn es trennte sie vom Rest des Hauses und war leichter über die Hintertreppe erreichbar als über die große Treppe, die von der vorderen Halle aus nach oben führte.
    Vor nur wenigen Monaten hatte sie sich vergnügt von einem Tag zum anderen in einer Welt bewegt, in der alles einem vorgegebenen
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